■ Bayerns Verfassungsschutz bekämpft das Verbrechen: Süddeutscher Sonderweg
In Bayern gehen die Uhren anders. So heißt ein populäres Vorurteil, das vor allem im südlichen Freistaat selbst gepflegt wird. Sinnbildlich dafür ist ein Präsent, das die Münchner Staatskanzlei gern ihren Besuchern schenkt: Eine hölzerne Wanduhr, das Zifferblatt mit weiß-blauen Karos unterlegt, das Uhrwerk dreht links- statt rechtsherum. Anders geht es in Bayern auch in der Rechts- und Innenpolitik zu — Paragraph 218, Staatsbügerschaftsrecht oder Verbrechensbekämpfung. Und beim Verfassungsschutz: Als einziges Bundesland hat der Freistaat sein Landesamt beauftragt, das nationale wie internationale Bandenwesen geheimdienstlich zu bekämpfen.
Die Ausweitung der Aufgaben des Verfassungsschutzes war ein unnötiger, aber folgenschwerer rechtspolitischer Dammbruch. Die Bayern kündigten den Nachkriegskonsens auf, die Arbeit der Strafverfolger von der der Geheimdienstler strikt zu trennen. Gebracht hat der süddeutsche Sonderweg nichts. Weder hat sich das Verbrechen, ob organisiert oder nicht, als ernsthafte Bedrohung für die „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ entpuppt. Noch hat sich der Verfassungsschutz als taugliches Instrument bei der Verfolgung von Diebesbanden und Panzerknackern bewährt. Gerade einmal drei Strafverfahren wurden bisher mit Geheimdiensthilfe abgewickelt.
Die neuen Aufgaben sollen dem Verfassungsschutz nach 1989 zu neuer Legitimation verhelfen. Ein blinder Lobbyismus, der die Arbeit anderer Behörden schlicht ignorierte. Denn nur kurze Zeit zuvor waren andere Behörden mit nachrichtendienstlichen Befugnissen aufgerüstet worden: der Bundesgrenzschutz, das Zollkriminalamt, die Landeskriminalämter und der BND. Auch hier hieß es zur Begründung, die Behörden müßten fit gemacht werden für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. So soll sich keiner wundern, wenn der Scheinaufkäufer des Landeskriminalamtes auf den Scheinverkäufer des Zolls trifft, wenn das angeblich kriminelle Geschäft dabei vom Bundesgrenzschutz belauscht wird und der bayerische Verfassungsschutz unter die beamteten Kollegen einen V-Mann einschleust. Ein anderes Vorurteil, das über Bayern hinaus gepflegt wird, sagt: Viele Köche verderben den Brei. Paul Neumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen