Bayerns Gillamoos-Volksfest: Saufen und beten für eine gute Wahl
Zwischen halbem Hendl und Riesenrad und viel, viel Bier boten auf dem niederbayerischen Volksfest Gillamoos Politiker markige Reden für das ebenso fromme wie trunkene Volk.
"Wir kennen den Franz Maget jetzt seit 20 Jahren", ruft Moni Well von der Bühne herunter den 2.000 Festzeltbesuchern zu, "wenn der nur halb so gut Politik macht, wie er schafkopft, kann nix mehr schiefgehen." Johlen, Applaus! Franz Maget hebt seine Maß, er freut sich über die Wahlkampfhilfe des oberbayerischen Musikerinnentrios, und er kann sie gebrauchen. Bei der Landtagswahl am 28. September könnte die CSU die 50-Prozent-Marke verpassen. Und dann will die SPD im Land endlich auch mal mitspielen.
Nun hat sich aber tags zuvor ein politisches Erdbeben ereignet. In Petzow bei Berlin wurde Magets Parteivorsitzender Kurt Beck verdrängt durch Franz Müntefering, und Frank-Walter Steinmeier hat sich zum Kanzlerkandidaten der Sozis ausgerufen. Unmöglich, dass Franz Maget nichts zu dieser sensationellen Personalie sagt. Er tut das sehr diplomatisch. Nennt den Problembären Beck einen "untadeligen Demokraten", der die "wichtige Entscheidung getroffen hat, unseren Vizekanzler zu bitten, als Kanzlerkandidat anzutreten". Anschließend preist er die Gewinner. "Frank-Walter Steinmeier ist spitze!" ruft er, "dem vertraue ich, der kann das." Und Münte erst: "Dieser Mann ist voller Saft und Kraft, ein Sozialdemokrat aus echtem Schrot und Korn. Der wird uns helfen."
Das sieht mancher anders. "Münte ist zwar ein alter Hase", sagt ein 33-jähriger Zuhörer vor seinem Bier, "aber alt. Ein Neuanfang sieht anders aus." Aber was solls, die Bayern-SPD führe eh ein Eigenleben, die sei hier "chancenlos glücklich" und weit fort von Berlin.
Dass die Leute hier politische Experimente wagen würden, kann getrost bezweifelt werden. Im niederbayerischen Abensberg, Landkreis Kelheim, gilt Tradition noch etwas. Bei der letzten Landtagswahl 2003 haben die Christsozialen hier 63,2 Prozent geholt, eine sichere Bank. Eine weitere feste Größe ist der Gillamoos. Das Volksfest wird seit 525 Jahren gefeiert, mit halben Hendl, Weißbier, Luftschaukeln und Riesenrad. Und markigen Reden. Wie jedes Jahr am Gillamoos-Montag treten beim Frühschoppen Politiker vors Volk, alle gleichzeitig, in den verschiedenen Festzelten. Und wegen der Landtagswahl kommen in diesem Jahr die Spitzenkandidaten in die Hallertau.
CSU-Ministerpräsident Beckstein wettert im Hofbräu-Zelt, Franz Maget bespielt das Jungbräu-Zelt, FDP-Bundesvorsitzender Guido Westerwelle hat das Weinzelt gebucht. Neu im Angebot ist in diesem Jahr Hubert Aiwanger. Seine Freien Wähler gelten als ernst zu nehmende Troubleshooter. Die Partei fängt enttäuschte CSUler auf, aber auch Bürgerinitiativler, die es denen im Münchner Maximilianeum mal zeigen wollen. Und um vom Alte-Männer-Image wegzukommen, hat er Gabriele Pauli, seine ungeliebte Mitkandidatin, mitgebracht. Im grünen Dirndl und ihrer neuen Fransenfrisur fordert sie im Kuchlbauer-Stadl das Erwartbare: Die CSU müsse weg, sagt sie über ihre frühere Partei.
Der Sonntag davor hatte begonnen, wie es sich gehört: mit dem Wiesn-Gottesdienst. Nach einem kurzen Gebet am Marterl des heiligen Ägidius, einem christlichen Nothelfer, geht es hinein ins Festzelt, wo schon 2.000 Katholiken an den Biertischen sitzen. Die Predigt ist nicht zu lang, ihr Thema nicht zu kompliziert - es geht um den geheiligten Sonntag, es wird gesungen, es wird gebetet. Aus der Küche duftet es nach Bratochsen und Wurstsalat. Kaum zu glauben, dass diese Menschen mit den gefalteten Händen dieselben sind, die in der Nacht zuvor, enthemmt vom Festbier, auf eben jenen Bierbänken rumgesprungen sind, auf denen sie heute morgen frisch gewaschen sitzen. Es ist ein schönes Gleichnis für jene Mischung aus Religiosität und Pragmatismus, die die Bayern ausmacht. Kaum ist der Gottesdienst zu Ende, eilen die Ersten auch schon zum Ausschank.
Der Gillamoos nimmt seinen Lauf: Bier trinken, Steckerlfisch essen, Bekannte treffen, ratschen. Wenn die Nacht über Abensberg hereinbricht, hat das DRK gut zu tun, und die Polizei hat vorsichtshalber einen Baucontainer als Ausnüchterungszelle geordert.
Anne, Claudia und Hannah stehen im Jungbräu-Festzelt und teilen sich eine Maß. Sie sind hier mit Freunden verabredet, die Nacht wird noch lang. Zum Frühschoppen am Montagmorgen werden sie aber auf jeden Fall kommen. Gefragt, wem sie am 28. September ihre Stimme geben werden, sind sich die 22-Jährigen vor allem darüber einig, wem nicht: "Den Linken. Die gehen ja gar nicht!" Hannah, die in Regensburg ein Ingenieurstudium absolviert, grübelt: "Na ja, am End muss schon die CSU wieder regieren. Die waren doch immer da. Das geht doch nicht, dass in Bayern die Roten drankämen! Des wär ja …" Hannah schüttelt es bei dieser Vorstellung. "Ja," setzt sie nach, "ich bin stolz, Bayerin zu sein." Die drei haben gleich nach der Schule Jobs und Ausbildungsplätze bekommen. Claudia ist bei der Passstelle, "das ist krisenfest", Anne arbeitet als Bürokauffrau bei einem der Stahlzulieferer für die großen Autoproduzenten hier in der Gegend, BMW und Audi. Die Arbeitslosenquote im Landkreis Kelheim liegt bei 2,6 Prozent. Kein Wunder, das die Linke bei den dreien nicht punkten kann.
Dass junge Bayerinnen und Bayern traditionell denken - und gegebenenfalls auch politisch entscheiden würden -, macht sich auch im Partyoutfit auf dem Gillamoos fest. Der Herr trägt in dieser Saison vorzugsweise rosaweiß kariertes Hemd, dazu hellbraune Lederhosn, Hosenträger sind ein Muss. Das Dirndl der Dame ist knieumspielend und in Cremetönen gehalten. An den Biertischen wird heftig diskutiert, dabei auch viel gelacht. Abends um zehn ist das Festgelände rappelvoll. 6,90 Euro für die Maß sind nicht zu viel, 30.000 Besucher greifen zu. Im Festzelt kämpfen sich schwer bepackte Kellnerinnen durch Jugendgruppen. Die schunkeln zu Partyhits, die Augen rot, der Schweiß rinnt ihnen übers Gesicht, die Zigarette hängt wie festgeklebt im Mundwinkel. Gerade rechtzeitig zur Bierzeltsaison hat Bayerns Regierung das Rauchverbot zurückgenommen. Wieder mal ein richtig guter Gillamoos.
Am Montag beginnt um zehn Uhr endlich der politische Frühschoppen. Der Franke Günther Beckstein kämpft am Pult im Hofbräu-Zelt tapfer um die Gunst seiner niederbayerischen Zuhörer. "Als der Stoiber da war, war hier die Hölle los", nörgelt ein Mann im Janker, applaudiert aber höflich. Er möchte endlich mal was zum Thema Steuern hören, Becksteins Motto "Mehr netto für alle" mag ihn nicht recht überzeugen. Bei Guido Westerwelle ist das Weinzelt überfüllt. Der Parteivorsitzende - dunkler Anzug, blaugelbe Krawatte - kommt gut an. Viele hier können sich eine schwarz-gelbe Koalition vorstellen. Zu den Sozis hat Westerwelle einen seiner Sowohl-als-auch-Sprüche auf Lager: "Die SPD hat jetzt die Personalfrage geklärt, nicht die Kursfrage."
Der Kurs jedoch dürfte nun klarer sein. Mit Müntefering und Steinmeier führen nun wieder Männer vom Schröderschen Schlag die Geschicke der Sozialdemokraten. Im gutgestellten Abensberg haben aber auch die Parteimitglieder damit kein Problem. Die Agenda 2010 sei "ein Prozess, der soll fortgesetzt werden", sagen die meisten, darauf angesprochen. In Bayern, wo die Auswirkungen der Agenda nur wenige zu spüren bekommen, wendet man sich lieber der Landespolitik zu. Die Wallküren singen: "Schaut amoi, der Franz / möcht Ministerpräsident werden. / Wart ma no a bissl, / wird scho wern." Nach 46 Jahren die CSU ohne absolute Mehrheit, das wär schon recht. In neunzehn Tagen wird gewählt in Bayern.
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