■ Bayern schiebt die erste Gruppe bosnischer Flüchtlinge ab: Arrogante Unbelehrbarkeit
Vorweihnachtszeit: Zeit für christliche Barmherzigkeit, Zeit für milde Gaben und Liebe satt – wenigstens einmal im Jahr lebt die Mitmenschlichkeit hoch. Bis zum „Fest“ und keinen Tag länger, gerade so, wie es der Kalender befiehlt. Doch auch die allerliebste christliche Mitmenschlichkeit kennt ihre Grenzen – dort, wo der Mitmensch erstens Ausländer ist, zweitens Muslim (den geht die Geburt unseres Herzjesuleins nichts an), drittens Sozialhilfeempfänger und viertens ein Prinzip. Ein Prinzip ist schließlich dazu da, es zu wahren – sonst verliert man das Gesicht.
Um drohenden Gesichtsverlust geht es, wenn Bayern jetzt erstmals eine größere Gruppe von bosnischen Flüchtlingen abschieben läßt. Die betroffenen Menschen sind dabei nur Instrument. 30 abgeschobene Bosnier weniger – bei fast 30.000 Kriegsflüchtlingen allein in Bayern –, niemand wird behaupten, daß das den Sozialhilfeetat im geringsten entlastet. 30 Bosnier weniger – das ist allein ein innenpolitisches Signal: triumphales Flaggezeigen eines bayerischen Innenministers gegenüber seinen Länderkollegen, die – mit Ausnahme Berlins – nicht vor dem Frühjahr mit der „Rückführung“ nach Bosnien beginnen wollen. Sieg der Arroganz des Mächtigen über die Warner und Kritiker aus Kirche und UN-Flüchtlingskommissariat. Trotziger Beweis dafür, wie man in Deutschland eigene Unbelehrbarkeit zur politischen Tugend erheben kann. Kampfansage an die Besserwissenden, die an unzähligen Orten den verunsicherten Flüchtlingen helfen.
Besonders letztere sind den bayerischen Behörden zunehmend ein Dorn im Auge. Je einsamer Bayern mit seiner drakonischen Abschiebungspolitik auf politischem Posten steht, desto massiver versuchen die Ausländerbehörden die Flüchtlingsberater zu diskreditieren. Je deutlicher sich der einmal gefaßte Beschluß zur massenweisen „Rückführung“ als undurchführbar erweist, desto hysterischer werden diejenigen belangt, die daraus Konsequenzen verlangen. Und so weiß man nicht, was eigentlich schwerer wiegt: die Unmenschlichkeit, die hinter der jüngsten Abschiebung steht, oder die herrische Prinzipienreiterei, die aus ihr spricht. Vielleicht sollte Innenminister Beckstein doch noch einmal den Kalender zu Rate ziehen. Schließlich ist die Vorweihnachtszeit auch die Zeit der Gnade. Und wenn in Bayern Gnade schon nicht vor Recht ergeht, dann vielleicht wenigstens vor Rechthaberei. Vera Gaserow
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