BUNDESWEHREINSATZ IM INNERN: DEBATTE AUSSER RAND UND BAND : Geier über dem Reichstag
Die Art, die der Hobbypilot Volker K. für den Suizid wählte, war ungewöhnlich. Bei einem Absturz im Berliner Regierungsviertel ist die Chance auf schnelle Rettung hoch. Für einen Freitod also keine ideale Situation. Kaum aber waren die Leiche und die Überreste seines Kleinstflugzeugs beseitigt, sammelten sich über dem Reichstag schon die Geier, um aus dem menschlichen Drama politisches Kapital zu schlagen.
Der Vorfall zeige, wie einfach terroristische Anschläge durchgeführt werden könnten. Günther Beckstein, der christsoziale Bundesinnenminister in spe, fordert den Einsatz von Luftabwehrraketen und Kampfhubschraubern über der Hauptstadt. Auch der offenbar schon im Wahlkampf stehende SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hält eine solche ständige Flugbereitschaft nun für überlegenswert. Prompt reagiert hat denn auch Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe und in Abstimmung mit Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting für die Berliner Innenstadt ein Überflugverbot für Kleinflugzeuge erlassen. Dies hatte Körting kurz zuvor noch strikt abgelehnt. Der heraufziehende Wahlkampf zeitigt Wirkung. Denn so schnell will man den so genannten Antiterrorkampf nicht an die CDU/CSU abgeben, auch wenn der Anlass mit Terror nicht das Geringste zu tun hat.
Mit dem Luftsicherheitsgesetz vom Herbst 2004 wäre sogar ein Abschuss von verdächtigen Flugzeugen möglich. Schon seit Oktober 2003 überwacht im niederrheinischen Kalkar das „Nationale Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum“ den Flugverkehr über Deutschland, um dem Verteidigungsminister, der im Extremfall den Abschussbefehl erteilen müsste, unerklärliche Flugabweichungen zu melden.
Nicht erst seit letztem Samstag ist die Debatte um einen sinnvollen Schutz vor islamistisch-extremistischen Anschlägen also völlig aus dem Ruder gelaufen. Selbst wenn es gelänge, ein verdächtiges Flugzeug rechtzeitig abzufangen und abzuschießen, was geschähe dann? Zwangsläufig würde dies über dem Stadtgebiet geschehen, die Trümmer würden also mit einer unkalkulierbaren Zahl potenzieller Todesopfer in dicht besiedelte Räume stürzen. Ebenso unsinnig ist die gesamte Debatte über einen Bundeswehreinsatz im Innern, den die CDU unablässig führt. Was sollen Wehrpflichtige gegen einen entschlossenen Selbstmordattentäter unternehmen?
Solche Diskussionen sind zu nichts anderem geeignet, als mit markigen Worten darüber hinwegzutäuschen, dass es vor solchen Tätern keinen absoluten Schutz geben kann. Also machen wir uns nicht verrückt. OTTO DIEDERICHS