BUNDESJUSTIZMINISTERIUM ERLEICHTERT MISSBRAUCH BEI LAUSCHANGRIFF : Ein dreister Entwurf
Was würde man von einem Angeklagten halten, der seine Bußfertigkeit beteuert, aber gleichzeitig versichert, er werde in Zukunft geschickter vorgehen und seine kriminellen Aktivitäten ausdehnen? Ungläubiges Staunen wäre die Folge angesichts solcher Dreistigkeit. Eine ähnliche Reaktion zeitigt der Entwurf des Bundesjustizministeriums, der den „Großen Lauschangriff“ an die rechtsstaatlichen Kriterien anpassen soll, die von den Karlsruher Verfassungsrichtern aufgestellt wurden.
Mit der Ausdehnung des großen Lauschangriffs auf eine ganze Reihe von Berufsgruppen mit dem Recht der Zeugnisverweigerung, nicht zuletzt Journalisten, stellt die Justizministerin die Logik des Karlsruher Urteils auf den Kopf. Diese Logik hieß: Grundrechtsschutz durch Einschränkung staatlicher Überwachung. Die Richter hatten geurteilt, dass künftig eine Verwanzung nur bei schwersten Verbrechen, die mit einer Strafandrohung von über fünf Jahren versehen sind, rechtens sein soll. Der Entwurf antwortet erstens damit, dass er den Umkreis der Abzuhörenden erweitert. Zweitens erhöht er die Zahl der Delikte, bei denen nach dem Karlsruher Spruch der Lauschangriff möglich ist. Dies durch den Trick, bei einer Reihe von Delikten, die bislang unter der von Karlsruhe vorgeschriebenen Strafandrohung blieben, einfach den Strafrahmen heraufzusetzen. So hat man die „terroristische Vereinigung“ im Verwanzungskasten.
Die im Referentenentwurf aufgestellten Bedingungen für den Lauschangriff wahren angeblich „ein Höchstmaß an Verhältnismäßigkeit“. Doch allzu leicht lässt sich der im Entwurf geforderte Nachweis erbringen, dass „unabweisbare Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung“ die Verwanzung nötig machen. Aus empirischen Untersuchungen in einem anders gelagerten Fall, der Genehmigung von Telefonüberwachungen, wissen wir, wie das geht bei der Justiz: rucki, zucki!
Der Einwand, die Verwanzung sei sowieso untauglich, weil zu umständlich und zu teuer, ist richtig, spielt aber auf einer anderen, der pragmatischen Ebene. Auch ineffektive Maßnahmen können das Grundgesetz aushöhlen. Und warum soll man später nicht fortfahren mit der Rutschpartie auf der schiefen Ebene? CHRISTIAN SEMLER