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Archiv-Artikel

BRASILIEN BRAUCHT EINEN SCHULDENERLASS STATT ENTWICKLUNGSHILFE Gegen den Raubbau in Amazonien

Das „Pilotprogramm zum Schutz der brasilianischen Tropenwälder“ (PPG-7) gilt bei Regierungen in Nord und Süd als Erfolgsstory: 1990 unter aktivem Zutun Helmut Kohls aus der Taufe gehoben, finanziert von den sieben reichsten Industrienationen, maßgeblich gemanagt von der Weltbank. In Amazonien arbeiten Basisgruppen und Behörden gut zusammen, die Millionen Dollar und Euro helfen, die Existenz indigener Völker und wertvoller Biotope zu sichern.

Nun gibt es mit Luiz Inácio Lula da Silva auch noch einen Staatschef, der schon im Wahlkampf ein schlüssiges Amazonien-Programm vorgelegt hat. Leitgedanke ist eine staatlich gelenkte, umweltverträgliche Entwicklung, die auch die 20 Millionen Einwohner des brasilianischen Amazonasbeckens einbezieht und ihnen zugute kommt. Vieles davon, etwa die Vermarktung von Urwaldfrüchten oder eine zertifizierte Forstwirtschaft, ist im Rahmen des PPG-7 bereits erprobt worden.

In der Praxis jedoch droht der Raubbau weiterzugehen, der schon bisher die Erfolge des Tropenwaldprogramms gefährdet hat. Und: Die Urwaldzerstörung löst außerhalb der Umweltszene nur noch Achselzucken aus, obwohl sie ein vor einigen Jahren noch undenkbares Ausmaß erreicht hat.

Gewiss, das meiste Tropenholz landet nicht im Ausland, sondern im industrialisierten Südosten. Und den Unfug, landlose Bauern an die Agrargrenze im Amazonasgebiet zu locken, haben sämtliche brasilianische Regierungen seit der Militärdiktatur in den Siebzigerjahren gefördert. Doch mindestens genauso schwer wiegt die vom internationalen Finanzsystem gepushte Exportorientierung, in der sich die Regierung Lula nun gefangen sieht. Die zerstörerischen Großprojekte in Amazonien kommen vor Ort nur einer kleinen Elite zugute. Dies gilt für die Eisenförderung oder die Aluminiumproduktion, aber auch für die wuchernden Sojaplantagen, deren Ernte in europäischen Futtertrögen landet. Der damit verbundene Ausbau der Verkehrswege ist gleichbedeutend mit der Vernichtung des Regenwaldes.

Die Probleme von Amazonien zeigen eindrucksvoll: Entschuldung darf sich nicht nur auf die ärmsten Länder dieser Welt beschränken. In Brasilien könnten die bei einer Entschuldung frei werdenden Mittel in sinnvolle, oft schon konzipierte Maßnahmen fließen, etwa in eine Agrarreform außerhalb Amazoniens oder die Stärkung rechtsstaatlicher Präsenz gegenüber korrupten Regionaleliten, die vom Status quo profitieren. Schließlich hätte auch das G-7-Pilotprogramm sein Hauptziel erfüllt – denn der wirkungsvolle Schutz des Regenwaldes könnte dann tatsächlich Regierungspolitik werden. GERHARD DILGER