BORDERLINEJOURNALISMUS, FRAUENTITEL, PANINI : Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
Hallo, taz-Medienredaktion! Vor ihrer Erschießung in Kundus beklagten die am Karfreitag getöteten Soldaten laut Spiegel Online Ausbildungsmangel. Auch ich stünde weniger blöd da, hätte ich an dem tollen Lehrgang „Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ teilgenommen, den die Bundeswehr Journalisten anbietet. Im Gegensatz zu den Soldaten trage ich an meiner Blamage allerdings selbst die Schuld, sieht man mal von deren Doofheit ab, überhaupt zum Bund zu gehen. Hätte ich einmal fünf Tage investiert, wäre meine letzte Kolumne vielleicht nicht zu einer Krisenregion ausgewachsen.
Fachgerechte Tarnkappenbenutzung, gekonnte Unsichtbarmachung, sich camouflieren, dass man aussieht wie das Rübenbeet – das wäre ein Kinderspiel gewesen! So aber habe ich an meinem Helm gezurrt und gezerrt, hilflos den Graben tiefer und tiefer ausgehoben und mir die Geheimtinte aus dem Yps übergegossen, ohne auch nur die geringste Wirkung. Nichts konnte die Schmach mindern, die ich mir sozusagen ins Bein geschossen habe. Ich habe nämlich – und nun haltet euch fest – das Wort „Emparrassing“ falsch geschrieben, gleich zweimal. Ausgerechnet! Ausgerechnet das englische Wort für „peinlich“. Peinlicher geht’s nicht. Dass „Hämorrhoiden“ auch falsch waren – geschenkt!
Ein Engländer hat mich darauf hingewiesen und ich muss ja wohl nicht sagen, wie ämbarrassed ich war. Totally. And still I am. Obschon ich mich wundere, dass es wohl auch nur einem Engländer aufgefallen ist und nicht meinen vielen gebildeten Lesern. Und schon gar nicht dem Fact-Checker, der bei der taz sitzt und meine Fakten checkt. Jedenfalls bin ich immer noch ganz bekümmert ob dieser Pein und frage mich, ob schon die ganze Republik über mich lacht. More embarrasseng geht ja nicht! Immerhin aber muss man sich bei mir nicht die Frage stellen, ob es die Leute überhaupt gibt, mit denen ich rede. Die Verrückten liegen so zahlreich auf der Straße, ich brauche sie bloß aufzuheben.
Anders bei Spiegel online. Dort veröffentlichte man Zitate eines Anwalts, den es nicht gibt. Und Neon ebenso wie die italienische Zeitung Libero druckten Sätze von Stars, die diese nie von sich gegeben haben. Obwohl sie ausgewiesener Schwachsinn waren. Sie alle sind Schreibern aufgesessen, die ihren Beruf als eine Art Interpretationsangebot verstehen. Jünger des Borderlinejournalismus womöglich, eines Konstrukts zur Rechtfertigung der Arbeit von psychisch Angeknacksten. Denen aus der Kummerabteilung. Auch nicht ganz gesund klingt der Aushang, mit der die Agentur „extra Faces“ Hamburg vollpflastert. Für die Dreharbeiten zu einem Film über die NS-Zeit werden „sehr dünne bzw. vom Leben gezeichnete Frauen und Männer“ gesucht. Sie sollen KZ-Häftlinge darstellen. Noch bevor klar wird, was das „bzw.“ bedeutet, kommt durch das fröhliche, fett gedruckte „Wenn Sie also Lust und Zeit hätten …, dann melden Sie sich bitte bei uns!“ Man sieht sie förmlich vor sich, die sehr dünnen bzw. vom Leben gezeichneten Komparsen in gestreiften Anzügen, wie sie beim Caterer stehen.
Apropos Essen: Panini will uns ab nächster Woche mit einem neuen Frauentitel beglücken. Doch jetzt nicht zu früh freuen! Statt eines tollen Sammelhefts, in dem die Rubriken „unter 100 Liebhaber“ und „über 100 Liebhaber“ adäquat beklebt werden müssen, schicken sie uns Sensa. Was sich anhört wie eine Binde mit Kaffeearoma, ist ein Magazin, das nach kroatischem (!) Vorbild auf „Nachhaltigkeit“ setzt. „Nachhaltigkeit“ – das neue Wort für Schlafkrankheit. Voll embärresed zurück nach Berlin!Hinweis: DIE KRIEGSREPORTERIN SILKE BURMESTER berichtet jeden Mittwoch von der MEDIENFRONTFeldpost? Mail an kriegsreporterin@taz.de