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Archiv-Artikel

BOLIVIEN HAT EINEN NEUEN PRÄSIDENTEN. ES BRAUCHT EINE NEUE POLITIK Rochade im Präsidentenpalast

Bolivien hat einen neuen Präsidenten: Nach dem Rücktritt des sturen Gonzalo Sánchez de Lozada hat dessen Vize Carlos Mesa die Amtsgeschäfte übernommen. Damit hat ein Personalwechsel stattgefunden – aber kein Politikwechsel. Zwar war die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten bei den Demonstrationen, Streiks und Blockaden der vergangenen Wochen zentral. Doch die Indígenas, Campesinos und Gewerkschafter dürften sich mit dieser Rochade im Präsidentenpalast kaum zufrieden geben. Was Bolivien braucht, sind nicht neue Präsidenten, es braucht eine neue Politik.

Der eingewechselte Präsident war Teil einer Regierung, die ein liberales Kahlschlagprogramm ohne Rücksicht auf soziale Kosten durchgezogen hat. Darum muss er jetzt aufpassen. Die Indígenas, Campesinos, Kokabauern und Gewerkschafter haben ein starkes Selbstbewusstsein entwickelt: Sie haben – trotz aller internen Konflikte – ein Staatsoberhaupt gestürzt. Da sind Gratulationen angebracht – aber voreilig. Denn Bolivien bleibt geteilt in zwei Gesellschaften: die weiße Oligarchie, die die politischen Regeln diktiert und den Reichtum des Landes in ihren Händen konzentriert; und die Mehrheit der Indígenas – zwei Drittel der Bevölkerung, die politisch kaum repräsentiert sind und in Armut leben. Der tief verwurzelte Rassismus der weißen Oligarchie verweigert den Indígenas ein politisches Mandat. Daher ließ de Lozada auf die Demonstranten schießen, als diese ihre Mitspracherechte einforderten. Die Reaktion steht sinnbildlich für das Verhältnis zwischen traditionellen Führern und Bevölkerungsmehrheit.

Jetzt ist der Moment gekommen, um in Bolivien Veränderungen zu erwirken. Es darf nicht einfach beim Präsidentenwechsel bleiben. Ein politisches System muss geschaffen werden, das allen Teilen der Bevölkerung ein Mitspracherecht garantiert. Zumal der Fall Bolivien auch Folgen über die Landesgrenzen hinaus hat. Ob Argentinien, Peru oder Ecuador. Die Menschen mischen sich stärker in die Politik ein, und sie haben dabei schon eine wichtige Erfahrung gemacht: Prinzipiell kann jede Regierung gestürzt werden. INGO MALCHER