BLÖDES GESCHÄFT: AUSRECHNEN, WER DEN GÜRTEL ENGER SCHNALLEN MUSS : Wenn schon, dann süße Lügen
Oh nein, da war er wieder, der Satz mit dem Gürtel. „Wir müssen den Gürtel enger schnallen, damit wir ihn irgendwann wieder aufmachen können, weil es sonst nicht vorwärts geht in unserem Land“, erklärte Familienministerin Renate Schmidt gestern im Radio. Nun soll man nicht unnötig auf den Metaphern von Politikerinnen und Politikern herumhauen. Die Ärmsten müssen ja wirklich jeden Tag aufs Neue das Gleiche erzählen, da verschleißt das Vokabular schnell. Doch der Gürtel-Satz ist nicht nur aus stilistischen Gründen geschmacklos.
Es war dieser Satz, mit dem sich die Mitte der Gesellschaft Anfang der Achtzigerjahre von der SPD ab- und der Union zuwandte. Obwohl auch Helmut Schmidt sich mit Härte-Floskeln zitieren ließ – die SPD will immer nur Geschenke machen, hieß es damals. Die CDU dagegen traut sich, der Bevölkerung auch mal was zuzumuten. Das war der Gehalt der „geistig-moralischen Wende“. Wie die dann aussah, ist bekannt. Helmut Kohl gewann mit dem enger zu schnallenden Gürtel die Wahl, was beweist, dass die Deutschen gelernt haben, ein Sprachbild vollständig von den Personen zu abstrahieren, die damit beworben werden.
Wenn jetzt die SPD mit dem Gürtel-Slogan Politik macht, eröffnet dies einen gruseligen Ausblick auf eine Legislaturperiode, in der sich die Volksparteien darin überbieten werden, den Gürtel aber bestimmt noch fester zuziehen zu wollen. Ein nahezu beschämend allgemeiner Allgemeinplatz ist es da, zu erwähnen, dass oberhalb eines bestimmten Vermögens- und Einkommenslevels auch in den nächsten zwanzig Jahren gewiss niemand seinen Gürtel enger zu schnallen braucht. Doch genau darauf wird es dann ankommen: mitrechnen, Prozente addieren und wieder subtrahieren, gestiegene Schwimmbadpreise zu sinkenden Sozialhilfepauschalen zählen, schauen, an wen die Versicherungskonzerne ihre Profite verteilen und wessen Wagenpark wächst. Ein blödes Geschäft.
Wir werden uns die Zeiten zurückwünschen, in denen wenigstens noch blühende Landschaften versprochen wurden. Wenn, dann doch bitte süße Lügen. ULRIKE WINKELMANN