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Archiv-Artikel

BISKYS SCHEITERN: VORGESCHMACK AUF DEN UMGANG MIT DER OPPOSITION Der Stil der großen Koalition

Es ist, als hätten Union und SPD alle Befürchtungen aus dem Politologie-Lehrbuch bestätigen wollen. Große Koalitionen sind schlecht für die demokratischen Umgangsformen, heißt es bei den meisten Theoretikern, eine ohnmächtige Opposition kann der Macht der übergroßen Mehrheit dann nichts mehr entgegensetzen. Die neue Merkel-Münte-Mehrheit setzte diese Maxime bei der gestrigen Wahl des Präsidiums prompt in die Praxis um und ließ gegen alle parlamentarischen Gepflogenheiten Lothar Bisky als Kandidaten der zweitgrößten Oppositionspartei durchfallen.

Im Anschluss an das Debakel hieß es, man wolle keinen Vizepräsidenten, der unter dem Verdacht einer früheren Stasi-Mitarbeit steht. Das wäre ein ernstzunehmendes Argument – wenn es die Parlamentarier, die gestern gegen Bisky stimmten, denn vorher öffentlich geäußert hätten. Die Stasi-Vorwürfe gegen Bisky liegen seit Jahren auf dem Tisch, und seit Wochen ist bekannt, dass die Linkspartei ihren Vorsitzenden für das Amt des Vizepräsidenten vorschlagen will. Eine klare Aussage, Bisky nicht zu wählen, hat man in dieser Zeitspanne von den Mehrheitsparteien aber nicht gehört. Wochenlang zu schweigen und erst im Schutz der geheimen Abstimmung das Missfallen kundzutun, ist nicht die feine parlamentarische Art.

Auf unliebsame Weise erinnern die Vorgänge des gestrigen Tages an die fünfzehn Jahre währenden Versuche, der PDS die parlamentarische Gleichberechtigung zu versagen. Das hatte zunächst noch eine gewisse Plausibilität, weil die PDS nur als Gruppe und nicht als vollwertige Fraktion vertreten war. Eine besonders kuriose Rolle spielte dann die Union: Kaum hatte sie, um die SPD zu ärgern, 1994 im Verein mit den Grünen das Recht jeder Fraktion auf einen Vizeposten festgeschrieben – da wollte sie es 1998 der PDS, kaum war sie zur Fraktion aufgestiegen, schon wieder vorenthalten. Damals vereitelte die SPD den Plan. Jetzt aber ist sie mit der Union als Regierungspartei verbunden – und gibt prompt einen Vorgeschmack auf den Stil der großen Koaliton im Umgang mit der Opposition. RALPH BOLLMANN