BIBLISCHE BOTEN : Projektionen
Am Morgen, auf dem Weg zum Bürgeramt, lagen überall – wahrscheinlich tote – Regenwürmer. Diese dünnen, bei denen man die Rillen kaum sieht. Manche lagen länglich gerade, ein paar waren eingekringelt. Hinten schwarz, vorne rot oder andersherum. Es dauerte ein paar Meter, bis ich verstand, dass die Flatschen auch mal Regenwürmer waren, jetzt waren sie zerquetscht. Es waren eine Menge Flatschen.
Gab es dazu nicht auch eine Geschichte in der Bibel? Glitschige Tiere, die wie Platzregen vom Himmel fallen? Dann sind diese Regenwürmer womöglich Boten Gottes und damit stellvertretend verantwortlich für dessen furchtbaren Einfall, dass man immer wieder Entscheidungen treffen muss. Damit haben sie den Quetschtod verdient. Aber zur blödesten Aufgabe im Leben gehört ja, dass man ständig zwischen Liebe und Projektion unterscheiden muss.
Dieser fiese Trick der menschlichen Emotion ist dermaßen bescheuert, dass hinter seiner Entwicklung eigentlich ja auch nur ein Gott stecken kann. Wie sehr ich diese Regenwürmer nicht mochte. Vermehrt wurde behauptet, es sei nun Frühling, was immer dazu führt, dass man sich erkältet. Frühling ist aber in Wirklichkeit erst, wenn man vom eigenen Jammern gelangweilt ist. Also dachte man sich dort zwischen den stellvertretenden Regenwürmern fort. Das klappte immer. Beim Spazieren einfach eine Stelle des Weges ganz genau anschauen, merken, dass man sie noch nie gesehen hat. Dann muss man nur noch die Augen etwas zusammenkneifen und sich ein anderes Licht vorstellen und schon ist man in einer neuen Stadt. Das ist gut, denn fremde Himmel sind immer die schönsten.
Was natürlich auch nur so eine Projektionsnummer ist, die sich recht schnell abnutzt. Also läuft man weiter über den Weg, gepflastert aus Regenwürmern, und erwartet den Regen, bis er kommt. LAURA EWERT