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Archiv-Artikel

BETTINA GAUSMACHT Alle Wahrheitsaussprecher in einen Sack

Keine Angst vor Populismus: Wir brauchen endlich eine „Das wird man doch noch sagen dürfen“-Partei

Die Versuchung wird übermächtig. Ich kämpfe dagegen an – aber der Wunsch überwältigt meinen Verstand. Vielleicht wird es ja besser, wenn ich diesen Wunsch einmal offen ausspreche: Ich will keine Angst mehr haben vor einer populistischen Partei. Es hätte einen so großen Reiz, wenn alle Tabubrecher und Querdenker und Wahrheitsaussprecher tatsächlich eine neue Partei gründeten. Was für eine Truppe könnte sich da zusammenfinden! Theo Sarrazin und Erika Steinbach natürlich, aber auch Arnulf Baring, Eva Herman, Friedrich Merz, Georg Gafron, Dieter Bohlen, Wolfgang Clement und Martin Lohmann. Ein Panoptikum.

Einen Namen hätte ich schon für die neue Partei: DWMDNSD. Das sieht zwar kompliziert aus, aber sagen Sie es doch ein paar Mal leise vor sich hin.

DWMDNSD, DWMDNSD – das hat eine ganz eigene Melodie. Und ist die Abkürzung für das Leitmotiv des gesamten Programms. Nämlich für den Satz: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“

Bisher laufen die Querdenker ja alle vereinzelt frei herum und brechen angebliche Tabus. Dann jubeln ihm oder ihr viele Leute zu – durch diese überschwänglichen Reaktionen zeichnen sich Tabus offenbar aus –, und Parteienforscher überbieten sich in düsteren Einschätzungen, wie viel Prozent der Wählerstimmen mit einer derartigen Bauernfängerei eingesammelt werden könnten. Es folgen Auftritte von Parteipolitikern, die behaupten, man müsse die Bevölkerung ernst nehmen. Deshalb müsse man die Debatte über dieses Tabu jetzt endlich wirklich führen. Kluger Schachzug. Sobald man etwas als Tabu bezeichnet, hat sich die seriöse Auseinandersetzung damit schon erledigt. Eine Methode, die viel Arbeit spart.

Muss man die Bevölkerung eigentlich wirklich ernst nehmen? Immer und jeden Tag und gemeinsam mit jeder Sau, die durchs Dorf getrieben wird? Hoffentlich wagt nie jemand offen auszusprechen, dass der Mond aus Käse ist.

Die Diskussionen sind bisher ziemlich unstrukturiert. Wenn alle Querdenker endlich in eine gemeinsame Parteidisziplin eingebunden wären, würde das anders. Systematisch würden sie Tabu um Tabu so vor sich hin brechen und gegenseitig ihren Mut bewundern. Wenn sie damit fertig wären, könnten sie damit anfangen, sich zu zerlegen. Während der Rest der Republik, sogar die Feuilletons, endlich mal wieder Zeit fänden, sich mit realen Themen auseinanderzusetzen. Oder auch: sich real mit Themen auseinanderzusetzen.

Die DWMDNSD wird es nicht geben. Schade. Ein gemeinsamer Parteitag von vielen Tabubrechern auf einem Haufen ist eine hübsche Vorstellung. Ob sie wirklich über 5 Prozent käme? Ich bezweifle das. Nix für ungut, Meinungsforscher.

Mit der Frage, was eigentlich Konservatismus ist, hat das alles übrigens gar nichts zu tun. Aber lustig ist es, dass ausgerechnet der Sozialdemokrat Sarrazin jetzt als Anlass herhalten muss, damit die Union von einer Sinnkrise redet. Andere Sorgen haben CDU und CSU derzeit nicht? Erstaunlich.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Amélie Losier