BETTINA GAUS über FERNSEHEN : Der König und die Kesselflicker
Gedanken beim Zappen: Wie verarmt man stilvoll, wenn man seine künstliche Ernährung selbst bezahlen muss?
Man verpasst furchtbar viel im Fernsehen, selbst wenn man gerade fernsieht. Ganz egal, wie oft man zappt – man ahnt es: Die wirklichen Kostbarkeiten laufen gerade auf einem anderen Programm. Nämlich jene kleinen, ungeprobten Sätze, die Licht ins Dunkel bringen. Wenn Heide Simonis nach der Wahl in Schleswig-Holstein in einer Talkshow auf die Frage, ob nicht doch eine große Koalition sinnvoll wäre, mit der Gegenfrage antwortet, wo sie denn dann bliebe: Das ist ein großes Fernsehereignis.
Manchmal muss man sogar zwei Programme gleichzeitig anschauen, um scheinbar Unverbundenes endlich in einem größeren Zusammenhang sehen zu können. Am Montag zum Beispiel. Da sprach Alexander Graf von Schönburg, ein aus Kostengründen gekündigter Redakteur der F.A.Z, bei Beckmann anmutig über „die Kunst des stilvollen Verarmens“ und sein gleichnamiges Buch. Er empfahl in diesem Zusammenhang nicht den völligen Konsumboykott, sondern er betonte, dass er vor allem das Wehklagen über die schlechten Zeiten satt hat. Und er wies darauf hin, dass es doch viel mehr Spaß macht, sich eine Rolex zu kaufen, wenn man darauf eine Zeit lang gespart hat, als wenn man – wie seine Schwester, die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis – sofort in den nächsten Laden marschieren kann, sobald man solch einen Wunsch verspürt.
Das ist vermutlich wahr und als praktische Lebenshilfe gewiss nicht zu unterschätzen. Aber das philosophische Grundprinzip des Grafen zu verstehen dauerte leider erheblich kürzer als sein Fernsehauftritt. Was vielleicht daran liegt, dass dieses Prinzip irgendwie doch auf seltsame Weise an manche Erziehungsratgeber erinnert, auch wenn in denen nicht von einer Rolex, sondern von anderem Spielzeug die Rede ist. Plötzlich wanderte die Hand jedenfalls wie von selbst zur Fernbedienung. So kamen die Spätnachrichten von Sat.1 auf dem Schirm.
Zu genau demselben Zeitpunkt, zu dem der Graf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über die Kunst des stilvollen Verarmens sprach, meldete der Privatsender, dass der gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen eine Neuregelung empfiehlt, wonach bis zu 140.000 Patienten in der Bundesrepublik – darunter auch Krebskranke – künftig die Kosten für künstliche Ernährung aus eigener Tasche begleichen sollten. Die zuständige Ministerin wehrt sich, eine Entscheidung soll bis Anfang Mai fallen. Was würde wohl Alexander von Schönburg zu dem Konflikt sagen?
Dessen Buch verkauft sich übrigens sehr gut und steht derzeit auf Platz 4 der Spiegel-Bestsellerliste. Das ist in mehrfacher Hinsicht tröstlich. Zum einen beweist es, dass die Zielgruppe doch wenigstens noch 17,90 Euro für ein Buch ausgeben kann. Zum anderen zeugt der Erfolg von der Weisheit der Programmplaner. Es bedeutet keine Schmälerung der schriftstellerischen Talente des Grafen, wenn man unterstellt, dass das Buch unter dem Pseudonym Willibald Dimpfelhuber weniger Käufer gefunden hätte.
Die Sehnsucht nach Adel und gekrönten Häuptern ist tief im Volk verwurzelt. Ein Bundespräsident kann keinen König ersetzen und schon gar keine Prinzessin. (Manche Bundespräsidenten können das übrigens noch weniger als andere.) Diese Erkenntnis lässt es nicht absurd, sondern überaus klug erscheinen, dass ARD und ZDF sich zoffen wie die Kesselflicker, wenn es darum geht, wer über die Trauerfeier für den Fürsten eines Zwergstaates berichten darf. Und müde abwinken, wenn ihnen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik angeboten wird, den – von einigen Leuten durchaus mit Spannung erwarteten – Auftritt eines Ministers in einem Untersuchungsausschuss live zu übertragen.
Das überlässt man gerne den Spartenkanälen. Niemand will stundenlang Joschka sehen, so die Vermutung der Leitungsebene aller großen Sender. Außenminister Fischer hat derzeit wahrlich viele Probleme. Aber kann irgendetwas so schmerzen wie diese abscheuliche Kränkung? Kein König zu sein und nicht einmal ein Graf?
Fragen zur Verarmung? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER