BETTINA GAUS über FERNSEHEN : Ein Abend voller Ängste
Wir alle sind Deutschland. Und lehren uns gegenseitig das Fürchten
Es war ein ziemlich netter Abend gewesen. Wir saßen in Reichweite von Chips, Wein, Cola und Nougatpralinen, und wir fürchteten uns alle sehr. Nora und Maxi schrien alle zwei Minuten kieksend auf, obwohl gar nichts passierte. Und Jan presste sich ganz eng in die Ecke des Sofas. Alles war so, wie es sein muss, wenn man sich einen Thriller anschaut. Bis es klingelte.
Irgendjemand sagte: „Das müssen Angela Merkel und Guido Westerwelle sein.“ Ja, natürlich. Wer sonst? Man hätte damit rechnen müssen. „Die wollen uns da abholen, wo wir gerade sind, und unsere Ängste ernst nehmen“, flüsterte Nora. Jetzt fürchteten wir uns wirklich.
Nur Fred nicht. Der liest keine Zeitung. „Als die Wahlen ganz anders ausgegangen sind, als die meisten Kommentatoren gehofft hatten, haben sie überlegt, woran das liegen könnte“, erklärte ich ihm. „Jetzt wissen sie es. Es liegt daran, dass die Leute, die weder Schwarz noch Gelb gewählt haben, Angst haben. Sie fürchten sich vor Veränderungen. Wenn Angela Merkel und Guido Westerwelle die Gefühle der Menschen ernst genommen hätten, dann hätten sie die Wahl gewonnen. Und deshalb stehen sie jetzt bei uns vor der Tür.“
„Aber es ist einfach nicht wahr“, sagte Jan verzweifelt. „Ich habe ganz tief in mich hineingehorcht und meine Seele erforscht. Ich habe Angst vor Spinnen, und ich mag keine Kakerlaken, und ich fürchte mich bei Thrillern. Aber ich habe keine Angst vor Merkel und Westerwelle. Ich halte schlicht ihr politisches Konzept für falsch.“
„Das glaubst du nur“, antwortete ich müde. „Du weißt doch, dass man Verrückte gerade daran erkennt, dass sie behaupten, nicht verrückt zu sein. Wenn du sagst, dass du keine Angst vor Schwarz-Gelb hast, beweist das nur, wie tief deine Ängste sitzen und wie viel du verdrängst. Sagen ganz viele Kommentatoren. Du kommst aus der Nummer nicht raus.“
Es klingelte wieder, länger dieses Mal. „Könnt ihr die Diskussion vertagen?“, fragte Maxi. „Ich will wissen, wie dieser Film ausgeht. Und ich werde es nie erfahren, wenn ich jetzt dort abgeholt werde, wo ich stehe, und meine Angst ganz ernst genommen wird. Was können wir tun?“ Ratloses Schweigen. „Einfach nicht aufmachen?“, schlug Nora zögernd vor. Es klingelte wieder. Drängend, fordernd. Nora sah es selber ein: „Zwecklos.“
Jan sprang auf. „Wo ist die Fernbedienung? Schalt um, schnell!“ Wir sahen ihn verständnislos an. „Wir haben nur eine einzige Chance“, sagte Jan: „Sie müssen uns glauben, dass wir keine Angst haben. Dafür ist ein Thriller das falsche Programm. Lass uns gucken, ob wir irgendwo diesen Spot finden, der behauptet, dass ich Max Schmeling bin und Maxi ein Baum oder umgekehrt oder so ähnlich. Und dass wir alle Deutschland sind. Vor so viel Optimismus und Selbstvertrauen müssen sie in die Knie gehen.“ – „Das ist doch nicht optimistisch und selbstbewusst, das ist doch einfach schwachsinnig.“ – „Ja, aber das ist die Erklärung mit den Ängsten auch. Wer das glaubt, der glaubt auch, dass Maxi ein Baum ist.“
Wir sahen uns an. „Also ich schau jetzt erst mal nach, ob das da draußen wirklich Merkel und Westerwelle sind“, sagte Nora entschlossen.
Nach wenigen Sekunden kam sie zurück, strahlend: „Entwarnung! Da stehen bloß zwei maskierte Männer mit Pistolen.“
Was waren wir erleichtert.
Fragen zum Optimismus? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDMÄNNER