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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Unsere heilige Pressefreiheit

An Bekenntnissen zur Freiheit der Medien fehlt es nicht. Jetzt müssen die Medien sie nur noch nutzen

„Das Nette an Arafat ist, dass er keine Gegendarstellungen schickt“, sagte vor einigen Jahren der Moderator eines außenpolitischen Hörfunkmagazins. In der Tat. Auch Beschwerdeanrufe bei der Chefredaktion oder die Kündigung von Werbeaufträgen waren seitens des Palästinenserführers nicht zu befürchten, ebenso wenig wie vom US-Präsidenten oder dessen chinesischem Amtskollegen. Das unterschied Politiker in fernen Ländern von Mitarbeitern der PR-Abteilungen heimischer Getränkediscounter und Parteizentralen. Die konnten auf missliebige Sendungen oder Artikel ziemlich biestig reagieren, und zwar unabhängig von deren Wahrheitsgehalt.

Über Jahrzehnte hinweg war Außenpolitik vorzüglich geeignet, um Männermut vor Herrscherthronen an den Tag zu legen. Schließlich standen die Herrscherthrone in sicherer Entfernung. Bei näher liegenden Mächten reichte hingegen gelegentlich auch ein Thrönchen, um sich der alten Weisheit zu erinnern, dass Vorsicht der bessre Teil der Tapferkeit ist.

Der Redakteur einer Münchner Zeitung, bei der ich als Berufsanfängerin gearbeitet habe, lachte herzlich über eine Glosse, die ich über den neuen Kreisverwaltungsreferenten geschrieben hatte. Treffend und bissig fand er sie, und ich wuchs vor Stolz um ein paar Zentimeter. Dann schrumpfte ich wieder. Er gab mir nämlich das Manuskript zurück und sagte, das könne man nun leider nicht drucken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre das einfach nicht klug.

Es ist sehr traurig, dass gewaltbereite Muslime derzeit die Pressefreiheit im Westen bedrohen, und es ist sehr schön zu sehen, wie tapfer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland inzwischen für dieses Recht einstehen. Gewiss würde meine Glosse heute gedruckt. Ungeschrieben bleiben künftig Briefe wie jener, der vor einigen Jahren die Chefredaktion der taz erreichte und in dem ein Parteisprecher beredte Klage darüber führte, dass die Parlamentskorrespondentin seine Arbeitgeberin nicht hinreichend würdigte. Niemals mehr wird sich der Vorsitzende einer großen Gewerkschaft telefonisch über die Berichterstattung dieser Zeitung beschweren. Und falls doch, dann bei der Autorin selbst. Nicht bei deren Vorgesetzten.

Kein Journalist muss jemals wieder fürchten, von Reisen oder Gesprächsrunden ausgeschlossen zu werden, weil dem Minister seine politische Richtung nicht passt. Kein Intendantenposten beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird unter dem Gesichtspunkt vergeben, ob und welche Parteibücher die Bewerber haben. Kein Großkonzern, kein Wäschegeschäft wird die Vergabe ganzseitiger Anzeigen von der Berichterstattung über seine Arbeitsbedingungen abhängig machen. Nichts von alledem kann jemals wieder passieren, denn die Meinungsfreiheit ist uns jetzt heilig.

Oder sollte das eine allzu optimistische Sicht der Dinge sein? Auf informelle – natürlich nicht gesetzliche, Gott bewahre! – Einschränkungen der Pressefreiheit haben Redaktionen früher gerne mit vorauseilendem Gehorsam reagiert. Und nun? Nun pixelt CNN das blöde, überflüssige T-Shirt des italienischen Politikers Roberto Calderdoli mit den umstrittenen Mohammed-Karikaturen. Weil man im Sender erkannt hat, dass es keine gute Idee ist, die religiösen Gefühle anderer Leute zu verletzen? Oder weil man keinen Ärger will?

Eine Folge der Globalisierung besteht darin, dass die beruhigende Gewissheit ihre Gültigkeit verloren hat, Arafat werde keine Gegendarstellung schicken. Ein Kollege auf dem Nachbarsitz im Flugzeug zuckte zusammen, als er in meiner Illustrierten eine Karikatur entdeckte. Und schaute genauer hin. Dann war er beruhigt – die Zeichnung war harmlos. Angst ist kein freiheitsstiftendes Element. Wir haben allen Anlass, uns um die Pressefreiheit zu sorgen. Aber nicht in erster Linie wegen muslimischer Empfindlichkeiten.

Fragen zur Pressefreiheit? kolumne@taz.de MORGEN: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT