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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Ein ganz großer Fisch

Was machen Medien, wenn ein „Künstler“ beim Luftanhalten unter Wasser den Verstand verlieren will? Zuschauen!

Man kann niemanden daran hindern, sich zum Horst zu machen. Man kann auch niemanden daran hindern, sich an einer der ungezählten Spielarten von russischem Roulette zu beteiligen. Aber man muss keine Kameras aufstellen, um das zu verfolgen.

Das tun Fernsehanstalten aber. Sehr, sehr gerne sogar. Millionen hat der heute dreiunddreißigjährige US-Bürger David Blaine seit dem Jahr 2000 von US-Sendern bereits dafür kassiert, dass er sich bei verschiedenen Aktionen öffentlich in Gefahr gebracht hat. Blaine bezeichnet sich als Künstler, weil er einige Tage in einem Glassarg unter der Erde und bei anderer Gelegenheit 62 Stunden in einem Eisblock zugebracht hat. Am Montag ist er in New York in ein Aquarium gestiegen.

Eine Woche möchte er darin angekettet unter Wasser verbringen, versorgt nur mit Sauerstoff und Infusionen für den Flüssigkeitsbedarf.

Diese günstige Gelegenheit will er zugleich dafür nutzen, einen Weltrekord im Luftanhalten aufzustellen. Neun Minuten peilt er an. ABC nimmt die gesamte Aktion auf und will daraus nach dem geplanten Ende am 8. Mai eine landesweite Sendung in den USA basteln. Die Kameraleute sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Todlangweilig sind die Bilder, die bisher weltweit – ja, natürlich auch von deutschen Sendern! – gezeigt wurden. Kein Wunder. Was soll spannend daran sein, einen Menschen zu beobachten, der sich als einziges Lebewesen in einem Aquarium befindet? Da sind ja sogar Fische noch interessanter.

Wären nicht die möglichen Folgen so gruselig, falls die Aktion schiefgeht: Kein müder Euro ließe sich damit verdienen. Aber David Blaine spielt eben nicht nur mit seinem Leben – das tun fast alle Extremsportler – sondern mit seiner Persönlichkeit. Vor irreparablen Hirnschäden warnen Neurologen bei dem möglichem Sauerstoffmangel, der während des Experiments droht. Zuzuschauen, wie jemand den Verstand verliert (wenn er ihn denn nicht bereits verloren hat): Das war bisher eine unbekannte Form des Gladiatorenkampfs.

Es gibt für Angehörige kaum etwas Schrecklicheres als die schwere Hirnschädigung eines geliebten Menschen. Sich mutwillig einer solchen Gefahr auszusetzen, ist eine Verhöhnung des Schicksals all jener, die damit fertig werden müssen, dass der Familienvater nach einem Herzinfarkt im Wachkoma liegt oder die Tochter nach einem Autounfall ihre Eltern nicht mehr erkennt.

Die Redaktionen, die über die Aktion von Blaine berichten, dürfen allerdings auf eine breite Themenpalette für die mögliche Folgeberichterstattung hoffen, sollten die Mediziner mit ihren Warnungen Recht behalten: Langwierige Therapieversuche, weinende Familienmitglieder und TED-Abstimmungen über die Grenze des Lebens und das Recht auf einen würdigen Tod. Das bringt Quote.

Es ist nicht neu, dass manche Leute für öffentliche Aufmerksamkeit fast alles zu tun bereit sind. Dafür ist sogar schon gemordet worden. Beunruhigend ist jedoch, wie viele Helfershelfer jemand wie Blaine findet. Ein Arzt betreut den Taucher im Aquarium – statt ihm den Besuch beim Psychotherapeuten zu empfehlen. Die Kollegen, die später vielleicht die Folgeschäden der Aktion behandeln müssen, könnten ihm vermutlich einiges über berufliche Ethik erzählen, wovon dieser Mediziner noch nie gehört hat.

Eine spezielle Leitung soll es David Blaine ermöglichen, unter Wasser Interviews zu geben. Wäre es nicht wunderbar, wenn sich niemand fände, der ein Interview unter diesen Umständen führen möchte? Wunderbar und ähnlich realistisch wie die Erwartung, dass sich George W. Bush zum Kommunismus bekennt.

Manchmal graust es einem vor dem eigenen Berufsstand. „Ich will einfach mal wieder zeigen, wozu wir Menschen fähig sind“, gab Blaine als Begründung für seine Aktion an. Glückwunsch. Das ist ihm schon jetzt gelungen.

Fragen zum Verstand? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck im TRANSIT