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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN In der Korrespondentendämmerung

Früher, da waren Reportagen aus Krisenregionen noch ein klassisches Genre der Kriegsberichterstattung. Und heute?

Auf seltsame Weise altmodisch wirkten in den letzten Wochen die Korrespondentenberichte vor der Kulisse zerstörter Stadtviertel in Beirut und flüchtender Zivilisten in Haifa. Die Bilder waren dramatisch, der Neuigkeitswert war hoch – und dennoch schienen die Aufnahmen der Reporterinnen und Reporter vor Trümmerfeldern aus einer fernen Vergangenheit zu stammen. Woran lag das? Sind Reportagen aus Krisenregionen nicht das klassische Genre der Kriegsberichterstattung? Nein, eben nicht. Nicht mehr.

Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, über bewaffnete Konflikte fast nur noch mit Informationen aus zweiter Hand versorgt zu werden. Wann haben Sie den letzten Livebericht unabhängiger Journalisten aus Bagdad gesehen? Woher wissen Sie, was in der irakischen Stadt Basra geschieht? Woher beziehen Sie Ihre Erkenntnisse über die Kämpfe zwischen US-geführten Truppen und Islamisten im Süden Afghanistans? Aus Quellen, deren vordringlichste Aufgabe nicht in der möglichst vorurteilsfreien, sachlichen Aufklärung besteht, sondern – beispielsweise – in der Versorgung von Notleidenden oder in der Suche nach einer diplomatischen Lösung.

Oder auch von Leuten, die am Konflikt unmittelbar beteiligt sind.

Das muss deren Informationen nicht entwerten. Berichte über Misshandlungen irakischer Gefangener und getötete Zivilisten erreichten die Öffentlichkeit, obwohl ausländische Journalisten es nur noch sehr selten wagen, ins Kriegsgebiet zu reisen. Manchmal haben Informanten ein Gewissen, manchmal verfolgen sie eigene Interessen. Oft haben sie Wichtiges mitzuteilen. Aber sie sind keine seriösen, gut ausgebildeten Korrespondenten. Ihr Handwerk besteht nicht in sorgfältiger Recherche und Gegenrecherche.

Vor der jüngsten Nahostkrise ist es fast niemandem aufgefallen, dass uns ausgerechnet aus jenen Kriegsgebieten, denen das besondere Augenmerk der Weltöffentlichkeit gilt, schon lange kaum noch Bilder und Reportagen erreichen.

Das Internet, die große Zahl von TV-Sendern und die Fülle verschiedener Nachrichtensendungen nähren den Glauben, man sei gut unterrichtet. Erst die Fernsehbilder aus Israel und dem Libanon schärften jetzt den Blick dafür, dass seit Jahren vergleichbare Bilder aus anderen Regionen fehlen. Und dass die Überzeugung, man sei doch eigentlich ziemlich umfassend informiert, eine Illusion ist.

Es wäre ein Fortschritt für die demokratische Meinungsbildung, wenn sich diese Erkenntnis allmählich durchsetzte. So ließe sich auch dem weit verbreiteten Irrglauben entgegenwirken, es werde in Gebieten schon nicht so blutig zugehen, wenn man das Blut nicht zu sehen bekommt.

Andere Fortschritte sind leider nicht zu erwarten. Eine regelmäßige internationale Berichterstattung aus Bagdad und zahlreichen anderen gefährlichen Orten wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Es ist für Korrespondenten derzeit einfach zu riskant, dorthin zu reisen.

Kriegsberichterstatter sind auch früher schon getötet worden. Manchmal zufällig, manchmal absichtlich – wenn man sie beispielsweise daran hindern wollte, brisantes Material zu veröffentlichen. Aber seit einigen Jahren wächst die Zahl der Gruppierungen, Konfliktparteien und Terrororganisationen, die Medien nicht mehr die Rolle außenstehender, unparteiischer Beobachter zubilligen wollen, sondern Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich als Gegner betrachten.

Gründe dafür gibt es viele. Ein wichtiger Grund ist das Internet: Niemand ist heute noch zwingend auf professionelle Nachrichtenübermittler angewiesen, um einem breiten Publikum eine Botschaft zu senden. Darin kann man eine Demokratisierung des Informationszugangs sehen. Aber eben nicht nur. Die Entwicklung erleichtert auch das Geschäft all derer, denen an einer tendenziösen Berichterstattung aus Kriegsgebieten gelegen ist. Das können, müssen aber nicht dieselben Leute sein wie die, die Journalisten töten.