BETTINA GAUS MACHT : Plüschtierchen für Helmut Kohl
Die Nachwelt verzeiht die Vergangenheit nur, wenn sie die Gegenwart schwer erträglich findet. Eine Warnung
Daniel Arap Moi hat gerade seinen 88. Geburtstag gefeiert. Nett war es. Eine kenianische Universität organisierte die Feier. Es gab einen riesigen Geburtstagskuchen, der geformt war wie der Mount Kenya. Traditionelle Tänze wurden gezeigt, und Moi sagte, dass man Reformen nicht überstürzen solle. Es war alles fast wie früher, als er noch Staatspräsident von Kenia war. Da war er auch immer gegen Reformen. Vor allem gegen demokratische.
Seine Gegner hatten Anlass, um Leib und Leben zu fürchten. Seinen Anhängern – und sich selbst – gestattete er eine persönliche Bereicherung auf Staatskosten in bis dahin unbekanntem Ausmaß. Er klebte an seinem Amt. Als 2002 nach 24 Jahren Moi endlich ein Nachfolger demokratisch gewählt wurde, schien fast das ganze Land einen kollektiven Seufzer der Erleichterung auszustoßen. Und heute? Macht sich Sehnsucht breit.
„Er kannte wenigstens die Stimmung“, sagt eine kenianische Rechtsanwältin. „Er hatte überall seine Ohren.“ So lässt sich ein umfassendes Spitzelsystem auch beschreiben. Ein Architekt lobt den Präsidenten von einst: „Wenn Unruhen drohten, dann sah er das voraus.“ Kein Wunder. Schließlich hatte er sie selber oft genug geschürt, um eigene Interessen leichter durchsetzen zu können.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Macht fast alle Menschen fasziniert. Aber ich finde es immer wieder erstaunlich, wie vergesslich oder zumindest versöhnungsbereit die Leute werden, wenn jemand nur mächtig genug war – und seine Herrschaft lange genug zurückliegt. Deutschland erlebt in diesen Wochen die Kohl-Festspiele. Nein, damit soll kein Vergleich zwischen einem ehemaligen deutschen Bundeskanzler und einem kenianischen Despoten gezogen werden. Aber Helmut Kohl hat die Grenzen dessen, was innerhalb unseres Systems ohne Haftstrafe möglich ist, bis zum Äußersten gedehnt. Im Hinblick auf die politische Ethik hat er sie überschritten.
Kohl hält sein Ehrenwort für einen höheren Wert als das geltende Rechtssystem, wie er im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre deutlich machte – und nach einer kurzen Zeit der Ächtung ist er damit durchgekommen. Heute wird er verehrt, sogar geliebt. Zumindest von Leuten, die ihn nicht gut kennen. Sein ehemals engster Kreis ist nicht so begeistert.
Ob zum 30. Jahrestag der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler wohl Plüschtierchen vor seinem Haus abgelegt werden? Man darf gespannt sein. Wenn man sich die Lebensläufe und Ehrungen von Daniel Arap Moi und Helmut Kohl nach ihrer jeweils aktiven Zeit anschaut, dann könnte man glauben, es kümmere keinen großen Geist, was jemand im Amt so treibt. Die Nachwelt verzeihe sowieso. Diese Schlussfolgerung wäre ein Irrtum.
Die Nachwelt verzeiht die Vergangenheit nur, wenn sie die Gegenwart schwer erträglich findet. Der demokratisch gewählte Nachfolger von Moi war eine Enttäuschung. Und die Favoriten für die kenianischen Präsidentschaftswahlen 2013 sind für Leute, denen an der Zukunft des Landes liegt, samt und sonders unwählbar. Regionale Machtkämpfe fordern schon jetzt Todesopfer. Deren Zahl wird noch steigen. Die Stimmung in Kenia ist ängstlich und sorgenvoll.
Angela Merkel sollte sich genau anschauen, wer sich aus welchen Gründen nach Helmut Kohl zurücksehnt. Die Sehnsucht hat nämlich mehr mit ihr zu tun als mit ihm.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: A. Loisier