BETTINA GAUS MACHT : Ein großes Fest soll es geben
Kenia bekommt eine neue Verfassung. Wenn die Reform gelingt, wäre das eine der größten Erfolgsgeschichten des afrikanischen Kontinents
Im Kofferraum seines eigenen Autos hatten ihn die Bewaffneten eingesperrt, erzählt der Taxifahrer in Nairobi. Dann ergriffen die Gangster mit dem erbeuteten Fahrzeug die Flucht. Zu schnell. Der Wagen überschlug sich dreimal – Totalschaden. Der Taxifahrer hatte Glück im Unglück: Er überlebte beinahe unverletzt und konnte von Anwohnern aus dem Kofferraum befreit werden. Gefasst wurden die Täter nicht.
Der auch nach zwei Monaten noch sichtbar erschütterte Mann ist nun der Dritte, der mir von einem solchen Erlebnis erzählt. Die beiden anderen gehören zu meinem Freundeskreis. Kriminalität, Gewalt, Korruption: So wahr es einerseits ist, dass viele entsprechende Berichte aufgebauscht sind und als moderne Gruselmärchen verbreitet werden, so wahr ist andererseits auch, dass die Leute vor allem in den ärmeren Stadtteilen und Regionen gefährlich leben. Von Rechtssicherheit kann keine Rede sein.
Im Taxi mache ich die angemessenen, mitfühlenden Geräusche und sage, es sei eben eine Schande. Die kenianische Polizei sei vollkommen inkompetent und die Justiz kaum besser. Da geht ein Leuchten über das Gesicht des Fahrers: „Das wird ja jetzt alles anders. Mit der neuen Verfassung.“
Die neue Verfassung. Lamm und Löwe werden künftig in Kenia als Freunde nebeneinander liegen, spätestens übermorgen. Die Volksabstimmung, in der sich Anfang dieses Monats zwei Drittel der Bevölkerung für die Reform ausgesprochen haben, war ein Sieg der Vernunft über politische Grabenkämpfe. Friedlich und demokratisch verlief das Referendum. Am kommenden Freitag tritt das Dokument in Kraft. Ein großes Fest soll es geben, ein öffentlicher Feiertag ist ausgerufen worden.
Und dann? Dann wird es mühsam. Richtig mühsam. Eine Landreform steht an und eine vollständige Neuordnung der Verwaltung. Die Machtbefugnisse des Präsidenten sollen stärker als bisher kontrolliert werden. Bürgerrechte werden gestärkt, Korruption endlich effizient bekämpft. Ein Mammutprogramm.
Der Vorsitzende einer Expertenkommission, die sich mit der Implementierung der neuen Verfassung beschäftigt, erklärte kürzlich, seiner Einschätzung nach werde es etwa zehn Jahre dauern, bis die Pläne verwirklicht und alle notwendigen Gesetze verabschiedet seien. Entsetztes Schweigen im Saal. „Die meisten Leute glauben, bis Januar sei alles in trockenen Tüchern“, sagt eine Rechtsanwältin. „Danach werden sie ungeduldig.“
Erst danach? Noch ist die Verfassung nicht in Kraft, da werden bereits die ersten Rufe nach Abänderungen des Dokuments laut. Während andererseits die Sieger darüber diskutieren, welche Parteistrafen und Degradierungen wohl für diejenigen angemessen wären, die sich gegen das neue Grundgesetz ausgesprochen haben. Das zeugt nun nicht gerade von Respekt für die Meinung der Minderheit. Aber friedliche Revolutionen brauchen einen langen Atem. Und wenn es funktioniert – es wäre eine der größten Erfolgsgeschichten des Kontinents. Tiefgreifende Veränderungen, ohne dass Köpfe rollen: Das ist selten, nicht nur in Afrika. Vielleicht funktioniert es ja wirklich. Ich wünsche es nicht nur, aber auch meinem Taxifahrer.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz und hält sich momentan im kenianischen Nairobi auf Foto: Amélie Losier