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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS MACHT Keine Katastrophe

Der Hunger in Somalia, er rührt nicht von einem Unglück her. Er ist vielmehr das Ergebnis schlechter Politik

Was für ein fürchterlicher Kontinent ist Afrika, eigentlich unbewohnbar. Wie die Bilder hungernder Menschen, die in diesen Tagen um die Welt gehen, beweisen. Oder? Nein. Von einer Katastrophe sollte im Zusammenhang mit der Hungersnot in Somalia nicht gesprochen werden – jedenfalls dann nicht, wenn man den Begriff ernst nimmt. Ihn also im Zusammenhang mit einem unabwendbaren Unglück benutzt. Davon kann keine Rede sein.

So wahr es ist, dass jetzt dringend Spenden gebraucht werden, so wahr ist auch: Im Kern geht es nicht um Geld. Sondern um Politik. Was zwar oft, aber nicht immer dasselbe ist.

Ziemlich genau zwei Jahrzehnte ist es her, dass ganz ähnliche Aufnahmen wie jetzt den Westen erschütterten. Der gefühlte Sieg im Kampf der Systeme war noch nicht verdaut, da verhungerten somalische Babys vor laufenden Kameras. Das konnte, das durfte nicht sein! Unter Führung der USA rückten UN-Truppen in das ostafrikanische Land ein. Ihr Mandat: der Schutz von Nahrungsmitteltransporten.

Einen ehrenwerteren Auftrag kann es nicht geben. Aber die Operation scheiterte, komplett. Binnen weniger Wochen mutierten die ausländischen Soldaten zur Kriegspartei. In einem Krieg, der nicht zu gewinnen war. Am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig als die Flucht.

Die Kränkung darüber saß tief. Unmittelbar vor dem Abzug der Truppen wurden fahrtüchtige Geländewagen von Bulldozern zermalmt, Matratzen angezündet und sogar Löcher in Plastikbecher gebohrt, um diese unbrauchbar zu machen. Offizielle Begründung: Man wolle kein kriegswichtiges Material zurücklassen.

Teetassen? Kriegswichtig? Um Rache ging es.

Damals wie heute hat sich das Ausland nicht für die komplizierten Einzelheiten des somalischen Bürgerkriegs interessiert, schon gar nicht dafür, wer Hunger aus welchen Gründen als strategische Waffe einsetzte. Somalia ist zum Musterbeispiel eines zerfallenen Staats geworden. Wir reden gar nicht mehr darüber, ob und wie der Bevölkerung innerhalb der Landes geholfen werden könnte. Sondern nur noch über Flüchtlingslager in Nachbarstaaten.

Die Welt hat Somalia aufgegeben. Wenig Rohstoffe (ja, ja, ein bisschen Öl, aber so viel dann auch nicht), geostrategisch uninteressant und mit den paar Piraten werden wir doch wohl fertig werden. Jetzt hungert also das Volk? Pech. Aber nicht zu ändern.

Doch. Es wäre zu ändern gewesen. Die Somalier haben die Nachteile, die ihnen durch klimatische Gegebenheiten entstanden, stets durch kluge Exportpolitik ausgeglichen. Aber in einem zerfallenen Staat gibt es dafür Grenzen.

Nach Jahren des Bürgerkriegs haben in Somalia islamistische Kräfte die Oberhand gewonnen. Das wollten die USA nicht hinnehmen, schon gar nicht nach 2001. Also unterstützen sie unbeirrt eine sogenannte Übergangsregierung, die etwa genauso legitim ist wie wenn ich mich zur Königin von Berlin-Charlottenburg ausrufen würde. Sie ist unpopulär und machtlos. Erwartungsgemäß geht der Bürgerkrieg weiter, erwartungsgemäß können die Somalier nicht aus eigener Kraft die Folgen einer Dürre verkraften.

Deshalb muss nun also gespendet werden, viel. Unvermeidlich war das nicht. Weil sich in Somalia eben keine Katastrophe ereignet hat, sondern das Land zum Opfer einer sehr dummen Politik geworden ist.

■  Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: A. Losier