BETTINA GAUS MACHT : Geheim und charmant
Am Freitag wird verkündet, wer den Friedensnobelpreis 2011 bekommt. Was ihn ausmacht. Und wer 2012 dran ist
Sagt Ihnen der Name Thorbjörn Jagland etwas? Vermutlich nicht, obwohl die ganze Welt in der nächsten Woche eine Entscheidung gespannt erwartet, an der er maßgeblich beteiligt ist. Jagland ist Vorsitzender des Komitees zur Vergabe des Friedensnobelpreises und außerhalb Norwegens so wenig bekannt wie seine Kolleginnen und Kollegen. Sie alle machen weder mit Skandalstorys noch mit Machtkämpfen von sich reden. Nicht die Personen, sondern allein ihre Entscheidungen sind interessant. Das ist der Charme des Komitees. Und – zumindest teilweise – auch des Preises.
Die Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers erinnert an die seltenen Gelegenheiten, bei denen ein Papst ex cathedra spricht, also eine als unfehlbar geltende Entscheidung zu Glaubensfragen oder der Sittenlehre verkündet. Was natürlich nicht bedeutet, dass über die jeweilige Entscheidung nicht diskutiert würde. Es gibt ja auch immer wieder allen Anlass dazu. Sowohl im Hinblick auf die katholische Kirche als auch auf die weltlichen Heiligsprechungen des Nobelpreiskomitees.
Aber dem Ansehen des Preises hat keine noch so umstrittene Entscheidung je geschadet. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Mahatma Gandhi – die Ikone des gewaltfreien Widerstands – es nie weiter als bis auf die Shortlist der Kandidaten geschafft hat. Warum ist der Friedensnobelpreis, verliehen von unbekannten Leuten in einem geostrategisch ziemlich unbedeutenden Land, dennoch seit über hundert Jahren die wichtigste Auszeichnung der Welt?
Ganz sicher liegt es nicht daran, dass die Regeln der Geheimhaltung eingehalten würden. Natürlich hat es Indiskretionen gegeben, obwohl offiziell der Schleier einer fünfzigjährigen Schweigepflicht über Beratungen und Begründungen des Komitees liegt. Die Verleihung des Preises an US-Präsident Barack Obama im Jahr 2009 hat, wie wir schon heute wissen, zu heftigem Streit geführt. Die Ehrung des damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat 1994 veranlasste ein Mitglied des Komitees, unter Protest aus dem Gremium auszuscheiden und sich öffentlich dazu zu äußern.
Könnte die Bedeutung des Preises darauf zurückgeführt werden, dass Menschen und Probleme in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangen, denen das andernfalls nicht gelungen wäre? Nein. Gerade ist Wangari Maathai gestorben, kenianische Umweltschützerin und Preisträgerin des Jahres 2004. Ihr Tod war den meisten Medien nur eine knappe Meldung wert. Wangari Maathai ist es nicht gelungen, mit ihrem Pfund zu wuchern. Der Nobelpreis ist eine Chance, keine Garantie.
Worauf beruht sein Ansehen dann? Wahrscheinlich tatsächlich einfach darauf, dass einige Leute in einem geostrategisch eher unbedeutenden Land, die keinerlei Rücksichten nehmen müssen, sich auf eine Person oder eine Organisation einigen. Seltsamerweise wirkt gerade der Mangel an Transparenz zutiefst demokratisch. Und vor der Bekanntgabe dürfen alle mal träumen. Vom Lieblingspreisträger.
Ich träume von Jens Stoltenberg, dem Ministerpräsidenten von Norwegen. Seine mäßigenden Sätze nach den Anschlägen des letzten Sommers haben den Frieden bewahrt, zumindest im eigenen Land. Aber er wird den Preis dieses Mal nicht bekommen. Die Nominierungsfrist für die diesjährige Ehrung endete im Februar, lange vor den Gewalttaten. Vielleicht ist Stoltenberg ja nächstes Mal dran. Das wäre ein Signal.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier