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Archiv-Artikel

BESUCH BEIM STREET-FOOD-EVENT: KARTOFFELPUFFER MIT SEETANG, „SURF & TURF“-BURGER, WIENER-SCHNITZEL-ZITAT MIT KARTOFFELSALAT Die Orgien der um die Vierzigjährigen

MARTIN REICHERT

Wenn Essen der Sex des Alters ist, dann handelt es sich bei den neuerdings in deutschen Großstädten orchestrierten „Street-Food“-Events um Orgien der um die Vierzigjährigen. In Berlin trifft man sich zu solchen Gelagen auf Märkten, neu belebten Markthallen und seit einiger Zeit auch an Sonntagen in heruntergekommen Lagerhallen, die sich in unmittelbarer Nähe zu jenen Clubs befinden, die man früher selbst aufgesucht hat. Bis zum Morgengrauen. Oder sogar bis übermorgen.

Auch seinerzeit gab es Street-Food, um auf dem Nachhauseweg die Magenwände zu beruhigen. Zwei Cheeseburger mit Pommes. Fettige Döner mit Knoblauchsoße und Zwiebeln, Currywürste. Real Berlin-Street-Food eben. Das, was da ist. Und das, was man sich leisten kann.

Nach einem Döner mit Knoblauchsoße und Zwiebeln Sex zu haben, hat sich nun noch nie wirklich empfohlen. Und doch haben sich die früheren Clubgänger erstaunlich erfolgreich fortgepflanzt, wie man bei den Street-Food-Events beobachten kann. Kinder und Kinderwagen gibt es hier en masse – und „Street-Food“ bedeutet dann eben auch, dass den Kleinen überall die Brust gereicht wird. Neuester Trend: Die Säugung wird mit einem riesigem Schal abgedeckt, eine Art Burka-Pieta im öffentlichen Raum. Um andere nicht zu stören oder um die Privatsphäre des Kindes nicht zu verletzen?

Rätselhaft. So rätselhaft, wie die Veranstaltung an sich: Menschen sind hier bereit, stundenlang für zwei kleine Kartoffelpuffer mit Seetang-Topping anzustehen und dafür sechs Euro zu bezahlen. Weil es sich dabei um „Street-Food“ aus Kambodscha handelt. Menschen campieren geradezu vor einem Stand, der „Surf & Turf“-Burger für acht Euro anbietet und trinken Weißwein, der mit schlappen fünf Euro pro Glas veranschlagt wird.

Man konsumiert also überteuerte Häppchen, für die man andernorts eine komplette Mahlzeit bekäme – sehr zum Befremden meines Besuchs aus dem Balkan. Befremden? Entsetzen: Sieben Euro für ein Wiener-Schnitzel-Zitat mit Kartoffelsalat? Und selbstverständlich danach immer noch Hunger. Der Ausflug in die Street-Food-Installation endete dann bei einer weltberühmten Berliner Curry-Wurst-Schmiede, deren Erfolg darauf beruht, dass die Ware aufgrund des Dauer- und Massenbetriebs immer frisch ist. Aber nun gab es ein neues Problem mit dem Besuch: Um sich den offenbar üblichen hiesigen Gepflogenheiten anzupassen, machte der Besuch ein Event aus der Bestellung besagter Currywurst. „What kind of meat is in that sausage? Is ist ecological?“; What kind of drinks do you offer?“; „Are the Fries double-fried?“.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Montag Maik Söhler Darum

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

MittwochMatthias LohreKonservativ

DonnerstagMargarete StokowskiLuft und Liebe

Hätte nur noch die Frage nach einem Seetang-Topping gefehlt. Selten sah ich die Berliner Damen des legendären Imbisses ähnlich nahe einem Herzinfarkt, während die Schlange hinter uns wuchs. Wer also ein authentisches Street-Food-Gefühl zu ganz normalen Preisen haben möchte, muss nur ein entsprechendes Buhei machen und Schlangen verursachen. Das ist total sexy, und satt wird man nebenbei auch noch.