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Archiv-Artikel

BERNHARD PÖTTER über KINDER Machtlos gegen Modewahn

Politiker sind geradlinig und entscheidungsfreudig – im Vergleich zu meiner Tochter

Wahrscheinlich wünsche ich mir heimlich, ich hätte eine echte Furie zur Frau. Eine Frau, die morgens vor dem Kleiderschrank steht, alles vom Bügel reißt und brüllt: „Nichts davon kann man anziehen! Ich habe nur Fetzen, Fetzen, Fetzen!“

Dieser dunkle Wunsch bleibt unerfüllt. Vielleicht ist es besser so. Aber ich kenne jemanden, bei dem dieser Traum wahr werden wird. Ich beneide ihn nicht:

Es ist mein zukünftiger Schwiegersohn.

„Ich will die rote Cordhose, nicht die blöde Jeans!“, schreit mir Tina ins Gesicht. Kaum ist die Cordhose angezogen, heißt es: „Nein, ich will den Rock!“ Dazu die geringelte Strumpfhose. Aber genau so eine hat ja Vanessa in der Kita, fällt ihr dann ein. Also weg damit. Und jetzt die mit den Blumen. Da kneift eine Falte! Wildes Geheul. Nun das Unterhemd mit den Rüschen. Nein, doch das mit Winnie the Pooh. Oder doch die Rüschen. Nein, lieber das rosa Hemd. Und die rote Unterhose. Nee, doch lieber die von gestern, und wo war wieder die rote Cordhose …

SCHLUSS JETZT, brüllt der Rest der Familie. Wir sind zehn Minuten zu spät. Alle warten voll angezogen im Flur. Tina sitzt ohne Unterhose im Bad und heult.

Sind ihre Ausziehpuppen schuld? Die Frauenzeitschriften im Wartezimmer beim Kinderarzt? Schaut sie mit ihren vier Jahren vielleicht doch zu viel „Sex and the City“? Oder sind es die Gene? Aber auf der weiblichen Seite der Verwandtschaft ist bisher kein erblich bedingter Schwachsinn aufgetreten – jedenfalls nicht in dieser Form.

Für die männliche Seite und den Gegenentwurf zu Tinas Fummelfimmel übernehme ich dagegen die volle Verantwortung. Während seine kleine Schwester darauf besteht, den Nagellack mit der Farbe der Schnürsenkel abzugleichen, ist Jonas wirklich alles wurscht, was seine Kleidung und sein Outfit angeht. Das T-Shirt verkehrt herum? Egal. In der Hose hängen noch die toten Käfer aus dem August? Tja. Das hat er von mir.

Aber bei Tina muss das eine spontane Mutation im Erbgut sein. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht Modeschöpferin wird, weil die Mode dann mit den Tageszeiten wechseln wird. Kommt der Tick mit dem Umziehen etwa daher, dass bei uns ein Umzug in die Welthauptstadt der Haute Couture bevorsteht?

„Kinder in diesem Alter wollen eben alles ausprobieren, am besten gleichzeitig“, meint Anna. Und wer verkleidet sich nicht gern? Am Rhein lebt schließlich ein ganzes Volk auf die tollen Tage hin, wenn jeder anziehen kann, was er will. Experimentierwut? Schön und gut, aber müssen sich Tina und ihre Freundinnen deswegen über Monate hinweg als desperate housegirls aufführen? Muss das Rosenkleid von Lena, das gestern todschick war, heute total „iiiih!“ sein? Verglichen mit meiner Tochter ist Edmund Stoiber ein gradliniger und entschiedener Mann.

Und Tina hat nicht einmal eine Landtagsfraktion, die sie zur Sau machen könnte. Man kann nur darauf hoffen, dass es irgendwann schick ist, bei Minusgraden eine lange Hose anzuziehen. Oder man kann gleich für ein Wunder beten. Glauben Sie mir: Es hilft.

Letzte Woche zog Tina klaglos jeden Tag den gleichen orangenen Pullover an. Ohne Zicken. Und Jonas nahm Abstand von seiner Idee, den Schlafanzug einfach nicht mehr auszuziehen und den ganzen Tag unter dem Pullover zu tragen. „Dann denkt die Lehrerin, ich bin ein Wildschwein“, vertraute er mir an. „Weil ich dann so stinke.“

Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Geschmacksfragen? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler über ZEITSCHLEIFE