BERNHARD PÖTTER RETTUNG DER WELT : Warum ich den Lobbyisten nicht die Liebe tue
DIE EUROPÄISCHE UNION IST EINE GUTE IDEE. VOR ALLEM WEIL SIE ALTERNATIVLOS IST
Europa hat es nicht leicht dieser Tage. „Klar gehe ich zur Wahl“, sagt der Nachbar in unserem Pariser Vorort, „Sarkozy braucht einen Denkzettel!“ Dass es bei der Europawahl um etwas anderes als den französischen Präsidenten geht, ist ihm nicht aufgefallen. Von den Plakaten vor der Schule meiner Kinder strahlen die Politiker, die sich nach Brüssel wählen lassen, um Brüssel zu bekämpfen, und der konservative Figaro rechnet vor, dass Paris jedes Jahr 19 Milliarden Euro an Brüssel überweist. Dass davon 16 Milliarden wieder zurückfließen, lässt er unerwähnt. Nur jeder zweite Franzose will wählen gehen.
Gut ist Europa derzeit nur für eines: um sich beim Umweltschutz besser zu fühlen als der Rest der Welt. „Amerika kann beim Klimaschutz viel mehr tun“, forderte der französische Umweltminister Jean-Louis Borloo letzte Woche bei Klimagesprächen in Paris. Und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel posaunte dort: „EU und Deutschland sind weiter beim Klimaschutz allein auf weiter Flur.“ Stolz verweisen beide auf die EU-Beschlüsse: minus 20 Prozent Treibhausgase bis 2020. Die USA wollen höchstens auf minus 7 Prozent kommen, vom Rest der Welt ganz zu schweigen. So grün sind wir im alten Europa!
Aber der alte Kontinent ist höchstens einäugig unter den Blinden. Laut Europäischer Umweltagentur nämlich erreicht die EU ihr Kioto-Ziel – übrigens bescheidene minus 8 Prozent – nur, wenn sie sich noch richtig anstrengt. Die Landwirtschaft, mit 40 Prozent des Haushalts Lieblingskind der EU, zerstört die Artenvielfalt und belastet das Klima. Verkehrspolitik bedeutet oft, erst mal Autobahnen zu bauen. Fischereiflotten plündern die Meere. Und unseren ökologischen Rucksack schleppen die Entwicklungsländer. Borloo und Gabriel rühmen sich also für Beschlüsse – ob die dann umgesetzt werden, ist weit jenseits ihrer Amtszeit.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Europäische Union ist eine gute Idee, vor allem weil es keine Alternative zu ihr gibt. Alles andere außer einem geeinten Europa wäre aus Ökosicht noch viel schlimmer. Wir können mit ihr für eine Agrarreform und gegen Atomkraft demonstrieren oder gegen das Chemiewerk jenseits der Grenze klagen. Nach Katastrophen wie Sandoz oder Seveso passiert tatsächlich etwas, und gegen Gentechnik sind irgendwie auch alle. Vor allem aber: Wenn fairer Ausgleich von Wirtschaft, Umwelt und Sozialem – kurz: die Nachhaltigkeit – mal eine Chance hat, dann wohl erst mal bei uns. Und selbstverständlich gehe ich zur Wahl. Denn wir leben zwar in einem Europa der Konzerne, aber gerade deren Lobbys freuen sich, wenn das Interesse der Öffentlichkeit abnimmt. Und natürlich ist das Parlament zu schwach. Aber Stimmenthaltung macht es nicht stärker.
Nur sollten wir uns nicht mal eben zur Achse des Guten erklären. Mir jedenfalls ist es hochgradig peinlich, wenn ein Präsident die galoppierende Erderwärmung leugnet und findet, mit dem Klima sei alles in Ordnung. So etwas sagt übrigens nicht mehr der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Sondern Václav Klaus, der Staatspräsident von Tschechien – momentan EU-Ratspräsident.
■ Der Autor ist Hausmann und Journalist Foto: Rolf Zöllner