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Archiv-Artikel

BERNHARD PÖTTER RETTUNG DER WELT Freispruch für den Analogkäse

Gourmets sind sich einig: Biokäse ist gut, Schummelschinken eklig. Aber mit Kunstkäse und Co können wir das Klima retten – wegen der guten CO2-Bilanz. Gehört dem Plastikessen also die Zukunft? Bei mir zu Hause schon

Uäähh, das stiiinkt!“, ruft meine Tochter und hält sich die Nase zu. „Papa, mach den Deckel wieder drauf!“ protestieren ihre Brüder, verdrehen theatralisch die Augen und täuschen Würgeanfälle vor. Dabei habe ich bloß die Käseglocke angehoben, um ein Stück vom Mi-Chèvre abzuschneiden. Kurz roch man etwas vom Tomme Noire und dem Conté. Aber das war schon zu viel.

Was Käsekultur angeht, lebt meine Familie nicht in Paris, sondern im holländischen Treibhaus: Hier geht nur Gouda. Immerhin noch echter Käse. Das ist viel in den Zeiten von Vanille aus Holzabfällen und Meeresfrüchtearoma aus Fischabfall.

Solche „naturanalogen“ Lebensmittel sollen wir „aus den Regalen reißen, wütend darauf herumtrampeln und sie verbrennen“, fordert jedenfalls der Gourmetpapst Wolfram Siebeck unter dem Beifall aller Medien. Denn: „Mit diesen Produkten bringt man uns, unsere Kinder und Kindeskinder um.“

In der Tat ist der Flurschaden, der industriellen Land- und Lebensmittelwirtschaft gewaltig. Man kann nur hoffen, dass es nicht stimmt, dass der Mensch ist, was er isst.

Und gerade, wo wir uns alle so schön einig sind, kommen Karl Otto Henseling und Detlef Bimboes und behaupten: Wer die Welt retten will, muss Kunstkäse und Schinkenimitat essen, denn: „Klimapolitisch gibt es kaum etwas Besseres.“ Die Autoren, renommierte Wissenschaftler, haben sich die erschreckende Treibhausbilanz von Milchprodukten angesehen: Auf Kuhkäse kommen danach 8,5 Kilo CO2-Äquivalent pro Kilogramm, so viel wie ein Mittelklasseauto auf 70 Kilometern auspustet. Biokäse ist mit 7,95 Kilo nicht viel besser. Also Achtung, Herr Siebeck: Es sind offenbar diese Produkte, die unsere Kinder und Kindeskinder umbringen.

Kunstkäse aus Pflanzenöl und -eiweiß dagegen könnte die Emissionen auf 10 Prozent reduzieren, so die Autoren. Ähnliches gelte für Schinkenimitat. Andere Untersuchungen bestätigen: Milchprodukte erzeugen massig Treibhausgase, selbst die Umstellung auf Bio genügt nicht. Wenn das mit dem Klima noch irgendwie klappen soll, dürfen wir 2050 statt jetzt 11 nur noch 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf ausstoßen. Weniger als heute allein für Ernährung anfällt. Selbst wenn wir alle Computer verschrotten und in ungeheizten Häusern sitzen, müssen wir anders essen: weniger Fleisch, weniger Käse, weniger Milch, weniger Eier.

Da ist Analogkäse doch ein Superangebot. „Klimaschonende Alternativen“ sollten offensiv beworben werden, fordern Henseling und Bimboes. Eine Herausforderung für ein Wort, in dem „anal“ und „log“ vorkommt. Wenn aber Kunstkäse und Schummelschinken nicht nur klima-, sondern auch geruchsneutral sind, stehen die Chancen bei meinen Kindern gut.

Der Autor ist Journalist und Käsefan Foto: privat