BERNHARD PÖTTER RETTUNG DER WELT : Weisheit nach Dienstschluss
Politiker und Manager konvertieren im Ruhestand zu Umweltengeln. Geht das nicht ein bisschen früher?
Der Klimawandel kommt schneller als gedacht, und wir sind schlecht darauf vorbereitet.“ Der Satz ist richtig, aber nicht neu. Wichtig ist, wer ihn gesagt hat: ein Dutzend ehemaliger US-Admiräle und -Generäle, die seit 2007 ihre Regierung mit derlei Warnungen nerven. Wie schön: hochrangige Soldaten, die das Denken nicht am Kasernentor abgegeben haben. Aber halt! Die Ex-Generäle sind eben Ex, und es ist kein Zufall, dass sie erst nach Zapfenstreich aufmucken. Sie haben ihr Denken eben doch erst bei Dienstschluss wiederbekommen.
Weisheit nach Dienstschluss heißt dieses Phänomen. Was ja nicht verkehrt wäre, wenn es denn die Dummheit während der Amtszeit lindern würde. Aber die Einsicht kommt den Mächtigen meist erst, wenn sie nicht mehr mächtig sind. Nach einem Berufsleben voller vorauseilenden Gehorsams folgt der nacheilende Aufstand. Abgefedert von den Pensionsansprüche der Karriere in einem System, das nachträglich als katastrophal erkannt wird.
Diese zornigen alten Männer (kaum Frauen) lauern überall – in Interviews, Büchern und Talkshows, wo alles wiedergekäut wird. Heiner Geißler – auch ein Ex-General(sekretär) und Ex-CDU-Wadenbeißer, heute Friedensengel bei Attac – ist einer der bekanntesten Spätkonvertiten, immer gut für radikale Forderungen gegen unsere Art, zu leben und zu wirtschaften. Sein Kollege Kurt Biedenkopf, als Ministerpräsident von Sachsen eher wenig durch Kritik am Wachstumswahn aufgefallen, fordert ein „Jahrhundert der Bescheidenheit“, einen anderen Lebensstil und Wachstumsdenken, das Belastungen von Umwelt und Klima mit einrechnet. Klaus Wiegandt kurbelte einst als Chef von Metro den Konsum an, um jetzt mit seinem „Forum für Verantwortung“ die Konsumkultur zu kritisieren. Unerreicht in später Einsicht ist der Ölmilliardär und Wirtschaftsverbrecher John D. Rockefeller, der sein zusammengerafftes Vermögen in eine Stiftung überführte. Der Trick funktioniert: Heute kennt man die Rockefeller Foundation, erinnert sich aber nicht an Standard Oil, den kriminellen Vorläufer von ExxonMobil.
Natürlich: Besser spät als nie. Aber warum erwachen Mut und Nachdenken immer erst beim goldenen Handschlag? Warum trifft der Blitz der Erkenntnis nicht mal einen Dirk Niebel auf dem Ministersessel? Oder den Exxon-Vorsitzenden beim Betrachten des Öl(!)porträts seines Vorvorvorgängers Rockefeller? Und warum gibt es keine Patenschaft von Kurt Biedenkopf für seine Freunde vom CDU-Wirtschaftsflügel? Wahrscheinlich hatte Mark Twain einfach recht: „Es ist sehr schwer, etwas zu verstehen, wenn man dafür bezahlt wird, es nicht zu verstehen.“
■ Der Autor ist Journalist und näher am Rentenalter, als er denkt. Foto: privat