BERNARD PÖTTER RETTUNG DER WELT : Das Elend mit den Sushi-Häppchen
Leberkäse essen ist nicht schuld – zumindest nicht am Aussterben des Thunfischs. Wie wir trotzdem Artensterbehilfe leisten
Bei Nadja gibt es heute Sushi zum Abendessen“, erklärt unsere Tochter, als sie von ihrer Freundin nach Hause kommt. Auf unserem Tisch stehen die Reste der letzten Mahlzeiten: drei Stücke Pizza, Leberkäse, ein Schwertfischsteak. Das mit dem Schwertfisch ist mir einfach so passiert: Im Angebot gekauft, ohne zu wissen, was „Espadon“ auf Deutsch heißt, und erst zu Hause im Wörterbuch nachgeguckt. Ob man ihn essen darf, weiß ich immer noch nicht, als ich sein festes weißes Fleisch genieße. Nur bei Leberkäs und Pizza bin ich sicher, dass sie nicht vom Aussterben bedroht sind.
Aber Sushi? In Frankreich sind die Zeitungen voll mit dem Streit um die letzten Bestände des Roten Thunfischs im Mittelmeer. Die wandern als Sushi-Rohmaterial nach Japan, seit dieser Speisefisch dort praktisch ausgerottet wurde. Und jetzt ist auch das Mittelmeer fast leer. Seit den 50ern hat sich der Bestand um drei Viertel reduziert. Wenn es so weitergeht, ist die Spezies 2012 von Tellern und aus Meeren verschwunden, fürchtet der WWF. Gefangen wird viermal so viel, wie Wissenschafter empfehlen.
Artensterben heißt normalerweise, dass eklige Insekten oder zweitrangige Pflanzen unbemerkt verschwinden. Bis „du ausgestorben bist und dich niemand mehr vermisst“, wie es das Faultier Sid im Film „Ice Age II“ singt.
Das Besondere beim Roten Thunfisch ist, dass wir live und in Farbe zusehen, wie wir eine Spezies einfach auffressen. Bestens dokumentiert und erforscht. Und Europa leistet Artensterbehilfe. Jetzt erklärt Frankreich, man wolle den Thun retten und die Fischerei einschränken. Allerdings erst ab 2012, wenn es wahrscheinlich gar keine Thunfische mehr im Mittelmeer gibt. Aber selbst diese Symbolpolitik werten Fischer als Kriegserklärung. Sie wollen sich ihrer Lebensgrundlage lieber heute als morgen berauben.
Wer Pessimist ist, kann die Thunfischtragödie so lesen: Wir wissen, dass unser Konsum, unsere Fischereipolitik nur Verlierer hinterlassen. Und ändern trotzdem nichts daran. Wer Optimist ist, kann hoffen, dass das Internationale Jahr der Biodiversität 2010 den 17.000 gefährdeten Arten hilft. Und dass die Rettung für den Roten Thun vor einem Ende als Sushi-Häppchen im Oktober beim UN-Gipfel für Biodiversität in Nagoya beschlossen wird. Das liegt in Japan.
■ Der Autor ist Journalist und liebt Japans Küche ohne Sushi Foto: Rolf Zöllner