BERLINER PLATTEN : Die Suche nach der vergrabenen Schönheit: Bei My Sister Grenadine wird man fündig werden, bei Rescue Mission ist der Schmuck nur Beiwerk
Das Konzept ist so simpel wie überholt, uralt und oft kopiert, ausgereizt und allzu oft benutzt und trotzdem einfach nicht totzukriegen: Eine Stimme und eine akustische Gitarre. Das funktioniert am Lagerfeuer und beim Sit-in, im Agitprop und in der Musikschule. Und es funktioniert auch noch einmal für Vincenz Kokot. Der weiß zwar sonst als Gitarrist der Postrock-Kapelle Polaroid Liquide eine komplette Bandbesetzung durchaus zu schätzen, aber unter dem Namen My Sister Grenadine entdeckt er nun den Alleingang für sich.
Wo bei Polaroid Liquide die elektrische Gitarre sich ausbreiten und mäandern darf, ist es hier nun eine unverstärkte. Die wird auf „Shine In The Dark“ gezupft und auch mal angeschlagen, klingt mal voluminös und mal eher dünn, aber steht doch immer im Mittelpunkt. Denn auch wenn Kokot Selbstgedichtetes zur Akustischen vorträgt, hat er dann doch kein Singer/Songwriter-Album aufgenommen. Er hat auf klassische Songstrukturen, aufs gute alte Strophe-Refrain-Schema verzichtet und konzentriert sich lieber auf Harmonien und Rhythmuswechsel, ohne aber ins Avantgardistische abzuschmieren. So ist die Musik mal besinnlich, mal eher anstrengend und vor allem beim ersten Hören immer ein bisschen eintönig. Die Sorte Platte, die plötzlich zu Ende ist, und man sich fragt: Wie war das jetzt eigentlich?
So fordert „Shine In The Dark“ dazu heraus, mal wieder endlich zuzuhören. Und wenn man das tut, entdeckt man handwerklich geradezu beängstigend gut gemachte Gitarrenmusik, eine lakonische, zerbrechliche Stimme und Songs, die eigentlich keine sind und dann doch und sich irgendwie eingraben, mit jedem Mal ein bisschen mehr. Schönheit, darf man dann feststellen, liegt halt eben meist im Einfachen. Allerdings ist sie selten so sorgsam vergraben wie bei My Sister Grenadine.
Nicht ganz so alt, aber doch auch schon ganz schön abgehangen, ist das Konzept vom Elektronikbastler und der Frauenstimme. Ein Konzept, das dieser Tage mit der Rückkehr von Portishead endgültig ins Popmuseum verbracht wird, von Rescue Mission auf ihrem zweiten Album „Natural Minor“ aber nichtsdestotrotz noch einmal freudig adaptiert wird. Die Songs, die Stefanie Sagert singt und Denny Hellbach produziert und arrangiert, haben allerdings überhaupt nichts von der düsteren Verlorenheit der TripHop-Heroen. Stattdessen konkurrieren die elektronischen Beats mit einer harmoniesüchtigen Gitarre und Melodien, die mitunter eine Spur zu gut gelaunt sind. Rescue Mission können ihre Folkwurzeln nicht verbergen und wollen es wohl auch nicht, aber dafür klingt ihre Musik das eine oder andere Mal eben zu sehr nach Ferienlager.
So selbstverständlich der Einsatz von digitalen Klängen in traditionellen Genres auch mittlerweile sein mag, so elegant die früher einmal antagonistischen Welten mittlerweile auch verschmolzen sind, dem Berliner Duo gelingt es noch einmal, die Elektronik bloß zum schmucken Beiwerk zu degradieren. In diesem Fall klingt das alte Konzept tatsächlich auch ein bisschen altmodisch. THOMAS WINKLER
My Sister Grenadine: „Shine In The Dark“ (Solaris Empire/Broken Silence) live heute im LUX
Rescue Mission: „Natural Minor“ (Phonector) live 24.7. Junction Bar