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Archiv-Artikel

BERLINER PLATTEN Einige recht wundervolle Lieder mit Berlinern und in Berlin randalierenden (die Harfe!) Briten: Neues von Sternbuschweg und Snow Patrol

Beginnen wir das neue Jahr mit einer kleinen Quizfrage. Welcher leidlich bekannte Doppelnamenträger hat wohl Folgendes gesagt: „Wir werden es auf unsere Art probieren“? Antwort A: Thorsten Schäfer-Gümbel. Antwort B: Wolfgang Müller-Molenar.

Die Lösung ist natürlich: Keiner von beiden. Hessens aufgrund seiner Unbekanntheit mittlerweile ziemlich bekannter SPD-Spitzenkandidat hätte es wohl sagen können, hat es aber nicht. Und Antwort B stimmt auch nicht, weil der Sänger von Sternbuschweg seiner Aufgabe als Sänger von Sternbuschweg gerecht wird und den Satz auf der neuen CD von Sternbuschweg, „Die Unvollkommenheit“, nicht sagt, sondern singt. So viel Spitzfindigkeit führt allerdings in die Irre. Denn Sternbuschweg spielen mal wieder ihren zwar nicht überbordend prominenten, aber in gewissen Kreisen doch geschätzen Betroffenheits-Indierock, der auf erdige Gitarren setzt, amerikanische Songklischees und den einfühlsamen Blick von Müller-Molenar auf seine engere Umgebung. In den sieben Songs des Mini-Albums geht es dann also um 2,20 Meter große Mädchen, um die wenigen Momente der Klarheit und um Fragen wie: „Würdest du dich ändern, wenn du könntest?“ Einmal geht es auch um Rock ’n’ Roll. Für den gilt, laut Müller-Molenar: „Ein paar Idioten schubsen sich im Kreis herum.“ Das mag sein, aber Sternbuschweg sind eher der Versuch, Rock ’n’ Roll ein gewisses intellektuelles Niveau zu verschaffen, ohne gleich kopflastig zu werden wie Blumfeld oder es mit der Poesie zu übertreiben wie Tomte. Ein ehrenwertes Vorhaben, bei dem die Tonsetzung nicht gerade neu erfunden wird, das aber in diesem Fall immerhin einige recht wundervolle Lieder produziert.

Das ist bereits seit anderthalb Jahrzehnten das Kerngeschäft von Snow Patrol. Der Hauptvorwurf an die schottisch-irische Band ist sogar, ihre Lieder würden bisweilen gar zu wundervoll geraten. Diese Kritik darf weitgehend auch für das letzte Album des Quintetts gelten. Dass es trotzdem hier besprochen wird, liegt allerdings daran, dass „A Hundred Million Suns“ in Berlin aufgenommen wurde. Gute vier Wochen buchten Snow Patrol im vergangenen Sommer die legendären Hansa Studios, wo dereinst David Bowie und Iggy Pop, später Depeche Mode, U2 oder Nick Cave einige ihrer klassischen Platten einspielten. Damals war das Studio noch direkt an der Mauer, nun liegt es inmitten eines ganz anderen Berlin.

Das kennen zu lernen gaben sich Sänger und Songschreiber Gary Lightbody und seine Kollegen doch einige Mühe: Sie tanzten regelmäßig im White Trash, tranken jede Menge Berliner Pilsener, gingen spazieren im Tiergarten und beehrten sogar den Barack-Obama-Auftritt an der Siegessäule. Direkte Hinweise auf den Aufnahmeort sucht man auf ihrem fünften Album allerdings vergeblich. Immerhin aber ist „A Hundred Million Suns“ doch ein bisserl rockiger geworden als gewohnt. Ja, es wurde sogar eine Harfe in Brand gesetzt, um das brennende Instrument zu samplen.

Das muss dann wohl der Einfluss des großen, bösen Berlin gewesen sein. THOMAS WINKLER

Sternbuschweg: „Die Unvollkommenheit“ (Tumbleweed/BrokenSilence) live 7. 1. im Schokoladen

Snow Patrol: „A Hundred Million Suns“ (Fiction/Universal)