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Archiv-Artikel

BERLINER PLATTEN Should I Stay or Should I Go (mal in der Reggae-Hiphop-Variante): Geht immer – ökologisch verträgliches Fernweh mit Mellow & Pyro. Bleibt bestehen – der ganz normale Alltag mit Susius

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und wenn einer keinen Flug in den Süden bekommt, dann kann er es ja mal mit Musik hören versuchen. Das ist ökologisch verträglicher und vielleicht sogar so erholsam wie ein Urlaub. Zum Beispiel genau dann, wenn Mellow Mark, globalisierungskritischer und trotzdem Echo-prämierter Reggae-Sänger, und Pyro Merz, dessen beständiger Live-Partner, sich auf Albumlänge versuchen.

„Ratz Fatz Peng“ heißt das gemeinsame Werk von Mellow & Pyro und die Weite dort draußen ist ihr Thema: „Ich zieh durch die Welt und rette die Farben“, rappt Mellow, und im CD-Booklet posiert die bunte Reisegruppe, mit der das Album aufgenommen wurde. „Mach dich auf den Weg, sonst ist es zu spät“, heißt es in einem weiteren Song. Hand in Hand mit diesem demonstrativen Fernweh geht ein antiquierter Zivilisationspessimismus, wenn Mellow & Pyro zu einem orientalischen Sample empfehlen: „Werf den Fernseher aus dem Fenster, schmeiß das Handy an die Wand.“

In die Ferne schweift auch die Musik. Die Ruffcats, Martin Jondos Live-Band, verlegen mit dem handwerklichen Können einer versierten Straßenmusikkapelle einen stets tanzbaren Teppich aus Reggae, Latino-Rhythmen und Soul-Einflüssen. Das klingt klasse, passt aber auch allzu gut zur von Mellow & Pyro ungebrochen betriebenen Reaktivierung des alten linken Kulturromantizismus, der in der Ferne stets das Bessere entdecken will. Die inneren Widersprüche dieser Haltung allerdings arbeiten die beiden kaum heraus: Selbst wenn Meeresbrandung rauscht, die Hawaii-Gitarre jammert und der Klimawandel ironisch für einen ganzjährigen Sommer in Deutschland gefeiert wird, will der Sarkasmus nicht so recht verfangen, weil er sich paart mit einem unangenehm besserwisserischen Moralismus.

Den, zum Glück, spart sich Susius. Die Raps auf ihrem Debüt „Alles muss raus“ sind von einem mittelschweren Berliner Idiom geschwängert, stammt sie doch aus dem Umfeld von P.R. Kantate. Dessen eher plumpen Görli-Görli-Lokalpatriotismus bedient die Kreuzbergerin allerdings nicht. Ihre Reime kreisen recht konkret ums alltägliche Leben und entwickeln dadurch eine allgemeingültige Relevanz: Es geht um „Urlaub auf’m Balkon“, Konsumzwänge und Suizidgedanken, die Liebe natürlich, aber auch um „Vollwertfrühstück, Obst und Magerquark“. Dass solch ein Talent 30 Jahre alt werden musste, um endlich ein Album zu veröffentlichen, daran ist vor allem mal wieder der Hiphop-immanente Sexismus verantwortlich. Während Jungs längst ihre eigenen Tracks herausbringen, musste sich Susius noch dagegen wehren, ständig zur Background-Sängerin degradiert zu werden.

Bedauernswerterweise aber sind ihre souveränen, bisweilen brillanten Raps von eher durchschnittlichen Beats unterlegt: Einige der Tracks wurden zwar von Culcha-Candela-Produzent Krutsch gebaut, trotzdem fehlen meistens Wumms und spannende Sounds. Für ihre Auftritte aber hat sich Susius nun eine Live-Band zusammengestellt, die dieses Manko hoffentlich auszugleichen versteht. THOMAS WINKLER

Mellow & Pyro: „Ratz Fatz Peng“ (Pyromusic/Our Distribution), Heute Release-Party im SO 36

Susius: „Alles muss raus“ (Stock & Stein/MKZWO/Rough Trade), Heute Release-Party im Bohannon