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Archiv-Artikel

BERLINER PLATTEN Wohnzimmerprogramme: mal gut und gemütlich eingerichtet bei Klabunde, mal mit dem Drall zum Exzess bei der Monitorpop-DVD

Musikalisch betrachtet ist jedes Wohnzimmer ja ein virtueller Raum, der beliebig ausgestaltet werden kann. Dass Klabunde seines nun in Berlin stehen hat, ist deswegen auch egal, es könnte genauso gut im Odenwald oder sonstwo beheimatet sein und am wahrscheinlichsten noch zwischen den vielen Platten mit Americana-Musik, die Klabunde bestimmt aufmerksamer gehört hat als die später nachgewachsenen „Quiet is the new loud“-Bekenntnisse (aus norwegischen und sonstwie randlagigen Wohnzimmern).

Für sein neues Album „Pale Blossoms“ tut Klabunde einfach mal so, als säßen auf seinem Sofa Folk, Country, ein strammes Popbewusstsein und sogar etwas Soul herum, und er tut das sehr geschickt, mit den Gitarren und den Streicherarrangements bei den elf Stücken dieses Albums. Die Musik kommt dabei nie so recht aus den Puschen, weil sie das ja auch gar nicht will, sondern sich lieber noch tiefer ins Polster drücken und dabei zuschauen, wie eine weitere nachlässig mitgesungene Wolke mit melancholischer Fassung (das Cello, die Geigen!) durchs Wohnzimmer schwebt. Das ist auf „Pale Blossoms“ aber alles andere als trübsinnig. Vielmehr klingt das wie ein Sonntagnachmittag auf der Couch mit einem alten Breitleinwandfilm in der Glotze. So schaut es in diesem Wohnzimmer aus. So ist diese Musik.

Wobei in den Wohnzimmern dieser Welt ja unterschiedliche Vorstellungen über das Lieblingsflimmerprogramm herrschen. Mit der angenehmen Puschenstimmung von Klabunde jedenfalls hat die erste Nummer des Berliner DVD-Labels Monitorpop wenig zu tun. Hier hat man für das heimische Pantoffelkino einige der alten Aufgeregtheiten Blut, Sex und Transgressionen zusammengestellt, gern im Achtziger-Wichs. Aus der Rückschau von heute aus erzählt. Bei der DVD handelt es sich nämlich vornehmlich um Interviews, die aber nicht wirklich Interviews sind, sondern eher lange Statements der Künstler. Keine Fragen sind zu hören, keine Fragenden zu sehen. So als gäbe es das Genie noch allein durch sich selbst.

Mark Stewart erzählt so, wie Punk und Albert Ayler einmal zusammen gehörten, und Throbbing Gristle erzählen, dass sie am Anfang ihrer Karriere vollkommen unabsichtlich provokativ wirkten. Als ob sie nicht gewusst hätten, was sie da machten, als sie mit der NS-Symbolik kokettierten, diese Schlingel (dazu gibt es die „Hamburger Lady“ in weggetretener Jim-Morrison-Badewannenversion). Plus Matthew Herbert (zieht über die aktuelle Musikszene her), Amos Kollek (der Filmregisseur), Hermann Nitsch (der „Seinsmystiker“ will mit seinem Orgien Mysterien Theater das große Einssein mit dem Universum) und Joseph Kossuth (der Konzeptkünstler). Dazu eine Handvoll experimenteller Kurz-/Kunstfilme. Music-clips (Einstürzende Neubauten klöppeln „Seele brennt“ zum Bild eines im Glas gefangenen Schmetterlings: Poesie des Terrors). Diaserien. Zusammengefasst alles wohl unter dem Motto „you gotta say yes to another excess“. Huh! Radikales Leben. Hart am Rand oder im Rinnstein. Hat in seiner Ausgestelltheit etwas Ödes. THOMAS MAUCH

Klabunde „Pale Blossoms“ (Solaris Empire/Broken Silence) Konzert am 27.11., nbi

Monitorpop-DVD (SPV, Vive Versa) www.monitorpop.de