BERLINER PLATTEN : Mangarock und anderer Mummenschanz. Es debütieren Cinema Bizarre; Subway to Sally zeigen Kontinuität
Der gemeine mitteleuropäische Teenager hat in den letzten Jahren eine unübersehbare Schwäche für nahezu alle Aspekte der japanischen Popkultur entwickelt. Er liest Mangas, guckt Animes, pflegt elektronische Haustiere und isst sogar rohen Fisch. Und auch wenn er nur selten Haikus dichtet, dann hört er doch zumindest Visual Kei. Bei dieser japanischen Spielart der Rockmusik ist die Musik weitgehend egal. Viel wichtiger sind die fantasievollen Kostümierungen und das androgyne Styling. Nun hat sich wohl jemand gedacht: Dann kann uns ja auch die Nationalität der Musikanten egal sein. Das Ergebnis ist: Cinema Bizarre. Fünf gerade eben mal Volljährige, die sich auf einem Manga-Fan-Treffen kennengelernt haben, dann in einen Topf Farbe gefallen sind und sich schicke Namen wie Yu oder Luminor ausgesucht haben. Nun werden sie von einem gewissen Thilo Wolff gemanagt. Der ist Sänger der ebenfalls stark geschminkten Düsterkapelle Lacrimosa, die vor Jahren dank so aufdringlicher wie missverständlicher Deutschtümelei von der Jungen Freiheit zum Kulturgut befördert wurde. Der musikalische Ausdruck von Cinema Bizarre allerdings beschränkt sich auf Mainstream-Stadionrock mit arg ausladenden Melodien. Für das Debütalbum „Final Attraction“ wurden über mechanischem Maschinenrhythmus ein paar Gitarrenspuren übereinandergeschichtet und mit Hall zugekleistert, bis das hohle Pathos aus dem Boxen trieft. Das hört sich so an wie die Sorte New Wave, die jeder eigentlich vergessen wollte, der damals in den Achtzigerjahren tatsächlich dabei war, und wird dann auch noch versehen mit bewährter Simpel-Lyrik aus dem kleinen Langenscheidt Deutsch–Englisch: „Feeling so free/Just you and me“. Diese so entstandene Dutzendware bringt vor allem das Grundprinzip des Visual Kei in Erinnerung: Die Mucke ist herzlich egal, solange der Haarschnitt stimmt.
Ganz anderen Mummenschanz führen schon seit bald zwei Jahrzehnten Subway to Sally auf. Angetan mit groben Sackleinen und gegerbten Tierhäuten haben sich die Potsdamer mit ihrer Mischung aus altertümlicher Folklore und dröhnendem Heavy Metal eine treue Gefolgschaft erspielt. Die wird auch auf dem nun schon neunten Album „Bastard“ nicht enttäuscht. Neben dem klassischen Hardrock-Instrumentarium kommen natürlich wieder Drehleier, Schalmei und Sackpfeife prominent zum Einsatz. In den gern germanisch schnarrend vorgetragenen Texten wird viel verflucht und gehasst, gelitten und beim Leichenschmaus geprasst. Bleiche Münder werden geküsst, Duette mit Satan gesungen und ein wenig auch das Schul-Latein aufgefrischt. Also bollert das ganz mächtig, sodass die Hörknöchelchen erschrocken zittern. Denn die Metallarbeiter vom Mittelaltermarkt beherrschen ihr Handwerk. Vor allem aber bringen sie wie gewohnt ein diffuses Unbehagen mit diesen modernen, unübersichtlichen Zeiten auf den Punkt, ohne aber auf deren Annehmlichkeiten ganz verzichten zu wollen – ausdrücklich vor allem auf eine satt verzerrte E-Gitarre. THOMAS WINKLER
Cinema Bizarre: „Final Attraction“ (Island/Universal)
Subway to Sally: „Bastard“ (Nuclear Blast/Warner)