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Archiv-Artikel

BEIM FRISEUR Punk is dead

Mein Friseur ist zu cool für mich. Ich gehe trotzdem hin

Zu meinem Friseur gehe ich nur, wenn ich mich innerlich halbwegs gefestigt fühle und es mir also gar nichts ausmacht, dass ich mich hinterher – trotz Haare schön, weil Haare ab – immer etwas langweilig fühle. Mein Friseur bedient seine Kundschaft in einem stilvoll heruntergewirtschafteten Ladenlokal in Prenzlauer Berg, die unverputzten Wände genau richtig schmuddelig, Kronleuchter unter der Decke, Stuck drum herum, ein paar Antifa-Postkarten an die Spiegel geklemmt. Es läuft hibbeliger Elektro, und das Personal unterhält die Kundschaft mit Lästereien über abwesende Kollegen und Affären mit Arschlöchern aus dem Berghain.

Mein Friseur ist also eigentlich zu cool für mich. Ich gehe trotzdem immer wieder hin. Es ist billig dort, und außerdem will ich wissen, was aus den Berghain-Ärschen wird. Und jetzt hat mir Weihnachten meinen Friseur kaputtgemacht. Gleich nachdem die große Geburtstagssause für den Herrn Jesus vorbei war, bin ich hin, um mich von fünf Zentimetern Haare und der ganzen feiertäglichen Gemütlichkeit zu verabschieden. Bei meinem Friseur hatten sie bestimmt Aufregenderes erlebt als Omas Rotkohl.

Ach, seufzt da die Frau mit der Punkfrisur, während sie das Shampoo in meinem Haar verteilt: „Als wir Weihnachten bei meinen Eltern waren, konnte Julie wieder überhaupt nicht alleine einschlafen. Die Kleine ist gerade so klammerig!“ Na toll. Wenn ich anhängliche Kinder will, bleibe ich zu Hause. Außerdem verderben sie die Party und mir damit den Friseurklatsch.

Dann denkt die Punkerin darüber nach, was sie ihrem Freund schenken könnte, der derzeit noch daheim bei Mutti weilt. „Vielleicht ein bisschen Wellness in Bad Saarow?“ Ihre Kollegin mit den immer knallrot geschminkten Lippen findet das gut und erzählt von ihrer Schwester, die gerade geheiratet hat. „Jetzt bauen sie ein Haus. Und dann wollen sie Kinder.“ Und ich will meinen Friseur zurück! ANNA KLÖPPER