BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Krawumm! Mütter im Größenwahn
Früher waren es Comics, heute sind es Computerspiele: Elterntabus. Das Gegenmittel: der knallharte Selbstversuch
Jede Generation Eltern hat ihre Sätze, die sie wiederholt wie die Befehle aus einem stupiden Computerspiel. Der aktuelle Spruch lautet sinnigerweise: „Jetzt hockst du schon wieder anderthalb Stunden vor dem Bildschirm! Noch eine Viertelstunde, dann geht ihr aber nach draußen!“ Weniger Computergeballere, dafür mehr Bewegung, ach, wenn die Kinder bloß mal wieder Räuber und Gendarm spielen würden!
„Das ist nur Nostalgie“, meint Freundin Britt, „da haben wir unsere eigene Kindheit im Kopf.“ Britt und ich sitzen am Computer ihres Sohnes Raoul und haben „Empire Earth“ eingelegt, aus pädagogischen Gründen, denn Britt meint, wir müssten uns „endlich mal in die Welt unsrer Söhne hineinversetzen“. Raoul hat uns großzügig seine Erlaubnis gegeben und ist mit meinem Sohn David nach draußen verschwunden.
„Herrschen Sie über die bekanntesten Völker der Weltgeschichte, führen Sie Ihre Zivilisation durch die Geschichte der Menschheit“, hat der Klappentext der CD-ROM versprochen. „Welt wird erstellt“, erscheint ein Schriftzug auf dem Bildschirm. Zu einer Winterlandschaft, die wir in Vogelperspektive überfliegen, ertönen tiefe Streicherklänge. Im „Nanozeitalter“ sind wir angekommen, bevölkert von fledermausartigen Kampfflugzeugen und Walrössern. Wir können per Mausklick Festungen, Soldaten und Flugzeugträger in die Landschaft setzen.
„Ganz schön gespenstisch“, meine ich. „Unsere Welt früher hatte doch auch etwas Irreales“, sagt Britt trocken, irgendwie hat sie heute einen grimmigen Tag. In Britts Familie gab es früher keinen Fernseher, ihre Eltern kauften ihr keine Comics. „Seufz“, „würg“ und „murmel, murmel“ sei nun mal kein ordentliches Deutsch, hatte Britts Vater befunden. Als ich Britt einmal besuchte, damals in den 60er-Jahren, saß sie auf ihrem Bett, einen riesigen Band „Große Eroberer der Weltgeschichte“ zur Tarnung auf den Knien, in den sie das unter großen Demütigungen von Freunden erbettelte Fix-und-Foxi-Heft gelegt hatte.
Wie sich die Zeiten ändern: Heute lächeln wir Eltern beglückt, wenn unsere Kinder am Nachmittag auf dem Sofa sitzen und konzentriert in Asterix-Comics schmökern. Wie wohltuend, wenn aus dem Kinderzimmer mal keine Schüsse, Explosionen und pathetische Trompetenklänge zu hören sind.
„Sie haben Ihr Bevölkerungslimit für Helden erreicht“, schnarrt es aus dem Computer. Hubschrauber kreisen über die verschneite Welt, Flugzeugträger kreuzen auf dem Meer. „Kurs wird gesetzt“, meldet eine Stimme. „Wir werden angegriffen“, ertönt es aus dem Off. Ein Kampfhubschrauber explodiert. „Roger. Erwarte Befehle“, erklingt eine Mädchenstimme. Typisch, dass die Mädchen wieder nur Befehle entgegennehmen dürfen.
Um eine „Strategieschlacht“ soll es sich laut Klappentext handeln. „Von wegen strategisch“ nörgele ich, „es geht doch nur ums Geballere der großen Eroberer. Diese Spiele fördern den Größenwahn.“ Krawumm! Zwei weitere unserer Kampfhubschrauber werden abgeschossen. Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass ich die Technik noch nicht beherrsche, bei mir schießt kein Kampfhubschrauber, da kann ich auf die Maustaste klicken, wie ich will. „Größenwahn!“, greift Britt mein Schlagwort auf, „mein Vater behauptete auch immer, Karl May sei größenwahnsinnig. Das war ein Gezerre, bis wir die Bücher zum Geburtstag geschenkt bekamen.“ Mir fällt ein, dass Britt vergangene Woche bei ihren greisen Eltern zu Besuch war. Hat offenbar düstere Erinnerungen geweckt. Verrückt, wie Eltern ihre Kinder so erziehen.
Peng! Wumm! Britt und ich haben jetzt acht Kampfhubschrauber und drei Flugzeugträger verloren.
Raoul und David erscheinen in der Tür, hochrot im Gesicht und verschwitzt. Nett, wenn die Jungs mal draußen toben. „Was, schon eine Stunde am Computer. Aber nach einer Viertelstunde ist jetzt Schluss“, grölen die Zehnjährigen. Ist lustig, Mama mal ein bisschen nachzuahmen. „Sie wurden besiegt“, meldet der Computer. Auch das Nanozeitalter hat seine eigenen Gesetze.
Fragen zum Empire? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH