BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Abenteuer im sächsischen Wohnzimmer
Die Kinder sind flügge, der Mann muss arbeiten. Ich könnte über Ostern mal wieder allein verreisen. Doch wohin?
Meine Freundin Britt hat eine neue Midlife-Theorie, die ich bislang nicht teilte. Wenn wir in die späten mittleren Jahre kommen, sagt Britt, dann wird einiges wieder wie im Teenageralter. Umbruchartig. Chaotisch. Erlebnisreich. Wobei sie letzteres Adjektiv ohne Wertung verwendet.
Blödsinn, habe ich immer zu dieser Theorie gesagt. Bis zum vergangenen Wochenende. Als ich meinen Urlaub für dieses Jahr plante. Ich könnte in diesem Jahr über die Ostertage nämlich mal wieder ein paar Tage allein verreisen. Die Kinder fahren mit ihren Jugendcliquen weg. Und Christoph muss arbeiten.
Also allein. Aber ich bin eher der Typ, der gerne Leute trifft. Interessengemeinschaften! Bei Google gebe ich „Yogareise“ ein. Schließlich kann ich den „Hund“ und die „Brücke“ schon mehrere Minuten tief atmend halten. Das Internet vernetzt sofort: „Yoga“ führt irgendwie zu „Ayurveda“, was in der Nähe von „Wellness“ liegt. Die Lady in mittleren Jahren soll offenbar ihre Urlaubstage damit verbringen, schon morgens achtsam ein Mantra vor sich hin zu singen und sich dann, mit Duftölen eingeschmiert, auf das Mittagessen aus Vollwertkost zu freuen – das Ganze für 100 Euro am Tag. So was würde mich fertig machen.
Lieber gleich offensiv werden. Ich gebe „Frauenreise“ ein. Nicht weil ich die Ferien unbedingt ohne Männer verbringen will, sondern weil man bei Frauenreisen mit einiger Sicherheit weibliche Menschen trifft, die nichts gegen Geschlechtsgenossinnen als Urlaubsbekanntschaften haben. Noch in Erinnerung ist mir jene Sportreise, als mich drei Teilnehmerinnen und ein männlicher Kursleiter abholten und eine der Damen bei meinem Anblick enttäuscht sagte: „Mensch, Tommy, hier fahren doch nur Frauen mit!“ Drei Tage später bekam ich eine Blutvergiftung. So was muss ich nicht noch mal haben.
Doch zu einem „Kreativurlaub Modellieren“, „Wandern und Feldenkrais“ und „Wellness und Shiatsu“ bei Frauen Unterwegs kann ich mich dann doch nicht entschließen. Ist denn das ganze Identitätskonzept der Lady in mittleren Jahren nur noch aufs In-sich-Hineinhorchen angelegt? Ich will Abenteuer!
Eine Kletterreise also. Schließlich schaffe ich in der Halle inzwischen den sechsten Grad. Na ja, Sechs minus. Im hiesigen Fanzine des Alpenvereins, dem Berliner Bergsteiger, finde ich das Angebot. „Vorsteigen im Elbsandsteingebirge“ in der Sächsischen Schweiz, 55 Euro gegen Vorkasse für das Wochenende, 3,50 Euro die Nacht, „im Lager“.
Erlebnisreisen in Sachsen, so was machen in meinem Kollegenkreis sonst nur unsere ReporterInnen, wenn sie mal wieder Neonazis jagen. Dabei zählt auch das Klettern in der Sächsischen Schweiz zu einer gefährlichen Sportart, wenn man vorsteigt. Während nämlich der Westkletterer nach Black & Decker-Manier jeweils Dutzende von Haken und Ösen in die Felswände geschlagen hat und sich, dadurch gut abgesichert, nach oben schiebt, legt der Ostkletterer geräuschlos Bandschlingen mit dicken Knoten in schmale Felsrisse und schickt ein Stoßgebet zum Himmel, dass diese Absicherung im Falles eines Sturzes halten möge. Bohrhaken und der Gebrauch von Magnesia sind in Sachsen verpönt und verboten. „Ethisches Klettern“ nennt sich das, so ganz ohne sakralen Mehrwert kann man heutzutage nirgendwo mehr hinreisen.
Ich wähle die angegebene Handynummer und melde mich an. Mein Vorname wird notiert, alles weitere „entscheiden wir kurz davor, wegen der Wetterlage“, erklärt mir eine freundliche männliche Stimme mit sächsischem Akzent, die zum Glück nicht ganz jung klingt. Die Übernachtung sei geregelt, „bei einem Kumpel von mir, der hat eine Zweizimmerwohnung. Wir können im Wohnzimmer auf dem Teppichboden schlafen. Bring die Isomatte und den Schlafsack mit.“ Gruppenübernachtung in einem sächsischen Wohnzimmer!
„Ein Sleep-in“, sagt Britt später und kichert, „wie damals in Amsterdam.“ Das ist 30 Jahre her. Aber heute kann ich mir im Gasthof ein Einzelzimmer leisten. Nur so als Idee, wenn die Gruppendynamik komisch wird.
Fotohinweis: BARBARA DRIBBUSCH GERÜCHTE Fragen zu Frauen in Sachsen? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS