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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE Mädels, unterbrecht die Müllkette!

Frauenfreundschaften brauchen Disziplin – und der Abfall in der Spree muss ökologisch entsorgt werden

Es stimmt ja nicht, dass ich neuerdings etwas gegen meine Freundin Chrissy hätte. Die Wahrheit ist: Ich habe sie sogar sehr gern. Schließlich kann man sich nicht mit jeder mal ein Wochenende auf einem Reiterhof einmieten, Doppelzimmer, und nach dem Sport bis spät abends Rotwein trinken und Comedy-Serien gucken. Ja, ich bin ein Mensch, der Nähe zulassen kann. Aber das ist auch das Problem.

„Monika hat eine furchtbare Mutterbeziehung gehabt, und jetzt ist sie auf ihrem Job im Krankenhaus mit dieser Ärztin in eine Mobbingsituation geraten. Außerdem hat sie mir neulich erzählt, sie habe beginnendes Rheuma in den Gelenken. Aber das kann am Alter liegen. Bei mir tun die Knie übrigens manchmal auch schon so komisch weh …“, Chrissy steckt voll im Redefluss. Wir sitzen im „Caprivi“, einem neuen Biergarten an der Spree in Berlin-Charlottenburg. Direkt vor meiner Nase schwappen eine große blaue Plastikdose und eine weißliche PVC-Tüte durch das Wasser. Wie lange sich so ein Müll wohl im Fluss hält, ohne zu verrotten?

„Ich meine, ich habe Monika gesagt, sie müsse das mit der Kollegin irgendwie klären. Es kann doch nicht sein, dass sie ihr altes Problem mit dominanten Frauen immer wieder reproduziert“, Chrissy hat sich aus der Rotweinkaraffe mit dem Hauswein nachgegossen. Mein Schweigen interpretiert sie als Interesse – dabei bin ich leicht erschöpft, weil ich heute Abend von Chrissy schon erfahren habe, dass sich Doris gerade mit der Telekom streitet, weil sie das Geld für eine stundenlange telefonische Astrologieberatung nicht zahlen will … und dass Birte als akademisch gebildete Hartz-IV-Empfängerin nicht unbedingt den Ein-Euro-Job als Hilfskraft in der Kita ausüben möchte.

Auf dem Wasser gleitet ein leerer Ausflugsdampfer vorbei. Die Mannschaft fährt offenbar in ihren verdienten Feierabend. Sie winken uns zu. Eigentlich ein schöner Abend.

„Also, zu Monika kann ich nichts sagen“, werfe ich vorsichtig ein. Ich habe Monika nur einmal auf einer Party kurz gesprochen. Aber wie gebe ich Chrissy, die sich von mir auch schon allerlei Abgründiges angehört hat, zu verstehen, dass ich mich jetzt nicht mit den Problemen anderer Leute befassen will? Wo ich mir doch denken kann, dass Chrissy wahrscheinlich von Monika, Doris und Birte ihrerseits mit düsteren Geschichten vollgestopft wurde und den ganzen Müll jetzt zu ihrer Entlastung bei mir abstellen möchte, weil ich an diesem Sommerabend offenbar einen munteren und aufnahmebereiten Eindruck mache?

„Trinkst du noch einen Wein mit?“, hat sich Chrissy gerade selbst unterbrochen. Ich murmele etwas Unbestimmtes. Dabei hatte mir meine Bekannte G. schon vor Jahren geraten: „Grenze dich mit Härte ab, aber nicht mit Kälte!“ Die wechselseitige Überforderung in Frauenbeziehungen ziehe sich als Thema durch die gesamte feministische Literatur, dagegen helfe nur Disziplin, so G., die Psychologie studierte. Frauen sollten sich mehr dabei beobachten, dass sie ausreichend Distanz wahren und sich tatsächlich austauschen.

Ich starre auf den Fluss. Die Dose und die Tüte sind längst abgetrieben. Vielleicht gibt es ja doch irgendwo eine ökologische Wassermüllabfuhr. Und so dreckig ist die Spree dann doch wieder nicht. Bin ich vielleicht pingelig? Immerhin gehört Chrissy nicht zu den Frauen, die ihre Kumpaninnen mit Müll beladen, aber die strahlende Supercool-Maus spielen, wenn ein attraktiver Mann erscheint. Sie interessiert sich irgendwie schon wirklich für ihre Freundinnen. „Ich will ja nicht kleinlich sein gegenüber Monika“, sagt Chrissy jetzt, „auch wenn sie mich letztens stundenlang vollgequatscht hat mit ihrem Zeugs. Aber sie ist im Moment echt arm dran.“

„Klare Worte“, sage ich, „sind aber manchmal schon das Beste. Vielleicht solltest du dich ein bisschen mehr abgrenzen. Auch mal an dich denken.“

Jetzt klinge ich wie ein Ratgeberartikel in einer Zeitschrift für die Frau in mittleren Lebensjahren. Aber im Sommer bin ich manchmal lieber indirekt.

Und morgen werden es ja auch wieder 35 Grad.

Fotohinweis: BARBARA DRIBBUSCH GERÜCHTE Fragen zur Müllabfuhr? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL