BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Eisdiele oder Nuttenschema
Werden 50-jährige Frauen automatisch von ihren Männern verlassen? Wir haben mal nachgerechnet
Dass die Ehe eine leidvolle Sache ist, war mein Erkenntnisstand im Alter von zwölf Jahren. Damals las ich allwöchentlich „Fragen Sie Frau Irene“, die Ratgeberkolumne in der Springer-Zeitschrift Hör zu, die meine Eltern abonniert hatten. Die Kolumne diente vor allem als Anklagemauer für Ehefrauen, deren Männer „eine andere“, und zwar meist eine Jüngere, hatten. Frau Irene riet dann zur Geduld. Eine Scheidung empfahl sie eher nicht.
Die Ratgeberseite kam mir wieder in den Sinn, als Britt auf Sabine zu sprechen kam. Nach Kirsten war Sabine nun schon die zweite unserer Bekannten, deren Mann sich eine jüngere Geliebte genommen und sich dann von seiner Frau getrennt hatte. Sabine hatte auch mir erzählt, wie sehr sie sich schämte, als Wolfhard abzog, mit einer 14 Jahre jüngeren PR-Frau aus der Firma. Klischee pur. „Ich komme mir vor wie ein Callgirl, das aus Altersgründen einfach ausgewechselt wird“, sagte sie, „Männer reduzieren Frauen letztlich doch auf den Körper. Es regiert das Nuttenschema. Du hast keine Chance.“ Ich fühlte mich unbehaglich.
Angeblich ist das mit der männlichen Fixierung auf junge Frauen ja ein evolutionsbiologisches Programm, tief drinnen im männlichen Bauplan verankert. Männer, die mit Frauen über 45 schlafen, sind danach nur noch nekrophile Grabschänder, evolutionsbiologisch unkorrekt. Allerdings fand ich exzentrische Typen immer schon spannender. Also passt es doch wieder.
„Vielleicht sollte man das mal empirisch abklären“, sage ich zu Britt, „wie oft passiert es? Das Nuttenschema, meine ich. Ist doch vielleicht auch ein weibliches Vorurteil. Gehen wir mal die Trennungen in unserem Umfeld durch.“
„Kirsten und Gerhard, ganz klar“, sagt Britt, „das Nuttenschema. Kirsten hatte keine Chance gegen die Jüngere.“ „Wolfhard und Sabine“, überlege ich, „also das überrascht mich nicht wirklich. Wolfhard hat bei seinen Frauen immer viel Wert auf die Optik gelegt. Der war ein Hochrisikofall.“ „Ronald hatte ja auch eine andere, die war aber gleich alt“, erinnert sich Britt, „und Michaela ist selbst vorher gegangen, mit diesem Physiotherapeuten, schon bevor ihr Mann mit dieser jungen Kollegin was anfing.“ „Bernhard kam wieder zurück, das war nur eine Affäre“, ergänze ich, „und bei Susanne, also die hat an ihrem Mann einfach zu viel herumgenörgelt. Da wäre jeder abgehauen, mit und ohne Nuttenschema.“ „Und Rainers Ex zockt ihn ja heute noch ab. Da könnte man auch von Nuttenschema sprechen, harhar. Aber andersherum.“ Am Ende bleiben nur drei Klassiker übrig, bei denen der Mann die Frau gegen eine Jüngere ausgetauscht hat. Das ist nicht wenig. Aber die Mehrzahl ist es nicht.
„Das größere Problem ist vielleicht doch die In-out-Problematik“, sinniert Britt, „wie auf dem Jobmarkt. Wenn du keinen Mann hast oder getrennt bist, wird es irgendwann schwer, einen neuen zu finden.“ Das stimmt. Es fängt aber schon in jüngeren Jahren an. Ich kenne Frauen, die schon seit vielen Jahren keinen Sex mehr hatten. Ist ja auch nicht so einfach, sich mit 40 noch als Jagdbeute zu verkleiden.
„Von vornherein eine Lebensphase ohne Männer einplanen, eine Art neue Nachkriegszeit“, sagt Britt, „das wäre vielleicht das beste Konzept. Entlastend für die Frauen.“ Mir fällt Großtante Zilly ein. Bei ihr war der Ehemann in Soldatenuniform nur noch in Form einer Schwarz-Weiß-Fotografie auf dem Nachtisch vorhanden, wie bei vielen Kriegerwitwen auch. Nie fiel ein böses Wort über ihn. Tote Männer sind eine sichere Sache. Aber auch eine traurige.
„Was machst du, wenn die ganzen Theorien nicht stimmen“, gebe ich zu bedenken, „so wie bei meiner Nachbarin. Die fand mit 68 noch einen neuen Lebensgefährten, echte Liebe.“ Frau K. lernte ihn in einer Eisdiele kennen. Er war 70. Frau K. starb wenig später überraschend an Krebs. Der Mann stand weinend an ihrem Grab. „Vielleicht muss man doch für alles offen sein“, seufzt Britt, „vielleicht muss man für alles offen sein.“ Die Dinge liegen ja oft anders, als man denkt. Auch Frau Irene war in Wirklichkeit ein Mann. Der schrieb hauptberuflich Drehbücher und Romane. Aber das habe ich erst kürzlich erfahren.
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