BARBARA DRIBBUSCH ÜBER BÜROKRATIE UND EINZELFALL : Folklore vom Amt
Obwohl sich die schwarz-gelbe Bundesregierung den „Bürokratieabbau“ fett in ihren Koalitionsvertrag schrieb, zeigt sich schon jetzt, dass es nichts damit wird: Die Betriebskrankenkassen warnen in diesen Tagen vor dem hohen bürokratischen Aufwand neuer „Zusatzbeiträge“. Finanzämter weisen in Schreiben darauf hin, dass die Steuerrückerstattungen derzeit auf sich warten lassen, weil man aufgrund von Gesetzesänderungen überlastet sei. Die Jobcenter schlagen Alarm, weil ihnen durch die geplante Reform ein neues Bürokratiechaos droht.
Schnell mal ein bisschen Bürokratie abbauen ist also nicht. Erst recht nicht, weil die den Sozialrichtern wohl bekannte „Einzelfallgerechtigkeit“ so ziemlich das Gegenteil ist von Ämterverschlankung.Wie kommt man heraus aus der Falle?
Gar nicht. Warum soll es einfach sein, mehr als sechs Millionen Empfängern von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld eine Grundsicherung nach ihrer Bedürftigkeit zu gewähren? Warum soll es einfach sein, die Einkommensteuer von 40 Millionen Erwerbstätigen mit ihrem besonderen Familienstand, ihren Einnahmen und Ausgaben zu ermitteln und einzuziehen? Bürokratie gehört zu einem Sozialstaat und dessen Folklore.
Die Frage kann also nur lauten: Welcher zusätzliche Bürokratieaufwand dient nicht dem sozialen Ausgleich? Die gerichtlich angemahnte formale Aufspaltung der Jobcenter beispielsweise ist überflüssig wie ein Kropf. Und eine Ergänzung der vereinheitlichten Krankenkassenbeiträge durch dann doch wieder – je nach Kasse – unterschiedliche Zusatzbeiträge wäre entweder ungerecht oder eine neue bürokratische Höllenfahrt. Das bisherige System erschiene dagegen fair und komfortabel. Am Ende zählt vielleicht vor allem ein Unterschied: der zwischen guter und schlechter Bürokratie.