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Archiv-Artikel

BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN Tausche Siebdruck gegen Chemiepapier

In der DDR blühte nicht nur der staatliche Kunsthandel. Der Clou war das private „Kopien-gegen-Kunst-Geschäft“

Kunstkritiker haben die Ende Oktober zu Ende gegangene Ausstellung „Kunst in der DDR“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zur „Ausstellung des Jahres“ gewählt. Das ist eine Entscheidung, mit der ich gut leben kann. Denn die 390 Werke von 145 Künstlern, die entweder staatsnah oder in kritischer Distanz zum SED-System den Pinsel geschwungen haben, regten mein Gedächtnis an. Mensch, dachte ich auf dem Heimweg, hab ich zu Hause im Schrank nicht ein Kunstkleinod aus Uraltzeiten, das mit dem staatlichen Kunsthandel der DDR so gar nix zu tun hatte?

Es muss 1988 gewesen sein, als ich als Dolmetscherin in den Leuna-Werken, dem größten Chemiekombinat der DDR, arbeitete. Dort gab es eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Zusammenarbeit mit einer spanischen Ingenieurfirma. Weil das Unternehmen eine Ausnahmeerscheinung in Spanien war – es war eine staatliche Klitsche –, verstanden sich die Leuna-Beschäftigten und die iberischen Ingenieure quasi wie Brüder.

Ich hatte den Job über das staatliche Dolmetschbüro der DDR bekommen. Ich wurde trotz fehlenden sozialistischen Klassenstandpunkts an den Klassenfeind vermittelt beziehungsweise verkauft. Denn die Spanier mussten dem Dolmetschbüro jeden Monat harte Valuta für meine Dolmetschdienste bezahlen, und ich bekam ein DDR-Durchschnittsgehalt von 800 Ostmark. Und, pssst, was das Dolmetschbüro nicht wusste: Die Spanier zahlten mir unter der Hand jeden Monat einige hundert Westmark. Weil sie es ungerecht fanden, dass ich Tag für Tag im Chemiegestank rumstand und Wörter wie Dreiwegeventil auf Deutsch und Spanisch runterbetete und das Vermittlungsbüro das Geld dafür einstrich. Noch mal gracias!

Die Arbeit mit den Spaniern war nicht nur sprachlich und finanziell interessant. Sie ermöglichte mir außerdem den Zugang zu Geräten, die in der DDR unter einem ganz speziellen Schutz standen: Kopiergeräten.

Der Mangel an Vervielfältigungsmaschinen und Papier, und der Mangel an Vertrauen der Regierung in das Volk, bescherten mir ein tolles Tauschgeschäft. Mit Judy Lybke, der in den 80er-Jahren begann, Künstler, jung und subversiv, in seinem Wohnzimmer in Leipzig und später in in seiner Galerie „Eigen + Art“ auszustellen. Hin und wieder gab der gute Mann auch Kataloge heraus, was ein schwieriges Unterfangen war. Denn er kannte zwar jede Menge tolle Künstler, hatte aber keinen Zugang zu einem Kopiergerät.

Während ich mir eines Tages also eine Ausstellung bei ihm anschaute, machte ich ihm folgenden Vorschlag: Ich kopiere, was er braucht, heimlich in der Baustellenbaracke bei den Spaniern, und im Gegenzug darf ich mir für jede Reisetasche voll mit Papieren, die ich aus den Leunawerken geschmuggelt habe, ein Werk eines seiner Künstler aussuchen.

Das „Kopien-gegen-Kunst-Geschäft“ lief gut. Judy Lybke konnte seine Kataloge herausgeben und ich konnte mir etwas an die Wand hängen. Oder ins Regel stellen. Oder in den Schrank legen.

Als ich nach der „Kunst in der DDR“-Ausstellung nach Hause kam, stürzte ich an den Schrank im Wohnzimmer. Darin bewahre ich alles auf, von dem ich meine, es dürfe nicht auf dem Abfallhaufen der Geschichte landen. Als ich ein längliches, hellblaues Buch entdeckte, wusste ich, wonach ich gesucht hatte. Ganz vage hatte ich farbenprächtige Siebdrucke in Erinnerung, die ich Judy Lybke für eine Lieferung Kopien abgeschwatzt hatte. Ehrfürchtig nahm ich das Buch in die Hand und begann zu blättern.

Mir stockte der Atem. Es war ein auf 65 Stück limitiertes Zeichenbuch von Olaf Nicolai aus der Edition „Eigen + Art“. Wow! Der Galerist Judy Lybke hatte Olaf Nicolai wie auch dessen Bruder Carsten und anderen Ostkünstlern nach der Wende zu internationalem Ruhm verholfen, und heute werden seine Werke hoch gehandelt. Mit leichter Wehmut blickte ich zurück in die Zeit, in der mit Kopien limitierte Kunstbücher zu kriegen waren. Das nenne ich wahre Kunst.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Kunstkopien? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE