piwik no script img

■ Autofahrer machen Tempolimits überflüssigWir sind alle Linksfahrer!

Marburg (taz) – Die Pkw-Urlaubsreise ermöglicht alljährlich Millionen Bundesdeutschen nicht nur das Studium längst nicht mehr fremder Länder, sondern auch das Erlebnis der Autobahn als Zeitgeistpiste. Und da tut sich einiges.

Klarer Trend: Linksfahren ist angesagt. Nicht nur – wie erlaubt – zum kurzzeitigen Überholen, sondern dauerhaft. Trotz großflächiger Plakatmahnungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, trotz 80 Mark Bußgeld und eines Punkts in Flensburg.

Das notorische Linksabweichlertum regt nicht nur drängelnde 7er-BMW-Fahrer oder japanische Prolo-Porsche-Piloten auf, sondern mittlerweile auch die Motor- Journaille. Die letzte ADAC- Motorwelt hat dem Problem eine eindringliche Story gewidmet. Tief in die Tasche greifen mußten die Heftmacher, um ihr Aufmacherfoto zu ermöglichen: Ein weißer „Eurocopter“-Hubschrauber fliegt über einer Autobahnschlange auf der linken Fahrbahn und greift sich den lahmarschigen Blockierer per Magnet ab. Die Headline dazu: „Hinweg mit ihm!“

Es sind beileibe nicht etwa die rasenden PS-Boliden, die zur Zielscheibe motorjournalistischen Zorns geworden sind. Freie Bahn den Leistungsstarken! Aber die deutsche Autofahrergemeinde mag die traditionelle Highway- Hierarchie von drängelnden Überholern und moderaten Durchschnittsfahrern nicht mehr akzeptieren. Allgemeiner Linksdrall ist angesagt. Und da so viele nach links wollen, wird die Überholspur immer voller – und das Tempo dort entsprechend niedriger. Eine nivellierende Rebellion von unten, die dem Volkswagenkonzern besonderer Analyse wert schien. Der beauftragte den Verkehrspsychologen Professor Benedikt von Hebenstreit mit einer empirischen Untersuchung über die Revolte gegen die guten alten Tempo- und Straßenseitengepflogenheiten.

Das Ergebnis macht neueste verkehrspolitische Streitereien schlicht überflüssig: Nur noch ein gutes Drittel verhält sich brav gemäß der Straßenverkehrsordnung, bleibt rechts und überholt nur kurz. Zwei Drittel aber haben bereits notorischen Linksdrall. Interessant die Motive: „Eile“ und „Imponiergehabe“ treiben ein gutes Drittel auf die Überholspur. Eine Minderheit also. Zwei Drittel jedoch bleiben aus „Angst“ (38 Prozent) und „Gedankenlosigkeit“ (27 Prozent) auf der Überholspur.

Was heißt „Angst“? Wer auf einer stauverdächtigen Autobahn zum drittenmal kilometerlang mit 80 Stundenkilometern hinter einem stinkenden Lkw eingeklemmt wurde, weil niemand in der schnelleren linken Schlange Aufnahme gewährte – womöglich bei Gluthitze und wegen der Dieseldämpfe abgeschalteter Lüftung –, der wird den einmal eroberten Platz auf der linken Spur nicht mehr so schnell preisgeben. Und die „Gedankenlosen“, die Hinterherfahrer, bilden die träge Masse, ohne die gesellschaftliche Mehrheiten nun mal nicht möglich sind.

Rechnen wir nach: Mittlerweile schon 65 Prozent der Linksfahrer sind also gar keine lichthupenden Drängler mehr. Sie machen deren Rüpeleien vergeblich: Was nützen Aufblenden und Auffahren, wenn vor dem Möchtegern-Schumacher gleich eine ganze Schlange Linksfahrer zur rollenden Tempoblockade wird? Was die Hessen-Regierung bei ihrem Ozon-Tempolimit aufatmen ließ, findet hier Bestätigung: Trotz Motor-Magazin- Lamentos ist Deutschlands Autofahrermehrheit mit ihrem Linksdrall den Politikerdiskussionen zumindest im Verhalten an Steuer und Gaspedal deutlich voraus. Links geht's durch die Rollblockade sowieso nicht mehr schneller. Freie Bahn dann nur noch auf der rechten Spur. Bis zum nächsten Lkw-Auspuff. Richard Laufner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen