Ausstellung über Musikvideos: Kulturpessimismus? Nicht mit uns!
Die Kölner Ausstellung "The Art of Pop Video" kapituliert vor dem Internet. Graubereiche zwischen experimenteller Popmusik und Medienkunst haben hier keinen Platz.
KÖLN taz | Die Sensomotoren der Roboter surren immer noch sanft. Zärtlich tasten sie über weiße Polymer-Oberflächen, streicheln und küssen sich, ohne dass man wüsste, wer jetzt Junge und wer Mädchen ist. Vor dreizehn Jahren war das Video zu "All in full of Love" von Björk eine bildgewordene feministische Cyborg-Utopie. Mittlerweile ist sie auf zwei mal drei Metern im White Cube angekommen - als Abschluss von "The Art of Pop Video" im Kölner Museum für angewandte Kunst.
Ein wenig merkwürdig ist der Zeitpunkt für eine Ausstellung über Musikvideos schon gewählt. Nach 30 Jahren ist MTV hinter der Paywall in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die stilprägenden Clip-Regisseure der späten Neunziger haben sich längst in Richtung Hollywood verabschiedet. Ihre Nachfolger kämpfen derweil mit schwindenden Budgets und einer Vervielfachung der Distributionskanäle um die Aufmerksamkeit derjenigen, die sich selbst zu helfen wissen. Wer sich 2011 noch für Musikvideos interessiert, ist per YouTube-Playlist und RSS-Feed längst sein eigener Kurator.
Das wissen auch die Macher von "The Art of Pop Video". Vielleicht reden sie deshalb auch vom Musikvideo als einer "Kunstform des Internets". Soll heißen: Kulturpessimismus? - Nicht mit uns! Also findet zwischen all den High-Budget-Clips auch ein virales YouTube-Video wie "Crush on Obama" seinen Platz. Zwei Studenten haben einige tausend Dollar in den Clip investiert, in dem ein Mädchen den US-Präsidenten anschmachtet. Bis heute hat es 21 Millionen Hits erreicht. "Das Internet ist toll, um Aufmerksamkeit zu erregen", erzählt die Regisseurin Mirjam Baker im Pressegespräch, "nur finanziell lohnt es sich nicht." Bakers Clip zu Zoot Womans "We Won't Break" ist ein Semesterprojekt. Figuren aus Gemälden von Hieronymus Bosch und Peter Breughel fliegen als Scherenschnitt-Animation durch die Kunstgeschichte der frühen Neuzeit. Zoot Woman entdecken das Video auf YouTube und wollen es für ihre nächste Single. Eine Erfolgsgeschichte, aber auch eine Ausnahme.
Überhaupt macht die Ausstellung immer deutlich, dass Videoclips Werbung sind. Nicht nur für die Band, sondern auch für andere Produkte. "The Wilderness Downtown" von Chris Milk ist ein solcher Fall. Zur Musik von The Arcade Fire läuft ein Junge durch eine Stadt. Die Hintergründe sind von Google Streetview generiert, der Clip funktioniert nur mit Googles Browser fehlerfrei. Trotzdem hat es einen Platz im Kanon von "The Art of Pop Video" gefunden. Und diese Durchlässigkeit führt dann dazu, dass man schnell wie ein Fernsehzuschauer auf die Ausstellung reagiert. Allzu Bekanntes wird übersprungen, bei kaum bekannten Videos wie dem Neon-Trash von Alexey Terehoff bleibt man erst mal hängen. Und spätestens wenn man den vierten Clip von Spike Jonze vorgesetzt bekommt, setzen Gedanken zur Programmplanung ein.
Kylie Minogue generieren
Leitthema der Ausstellung ist der Brückenschlag vom Musikvideo zur bildenden Kunst. So werden surrealistische Kurzfilme genauso zu Vorläufern des Musikvideos ernannt wie die Experimente des Neuseeländers Len Lye. Der zeichnete bereits in den 1930ern abstrakte, von den Aborigines inspirierte Animationen zu seiner Lieblingsmusik direkt auf das Filmmaterial. Das Resultat nimmt auf verblüffende Weise frühe Acid-House-Clips vorweg. Die weitere Geschichte erzählt die Ausstellung als das Zusammenfallen von technischen Innovationen und intertextueller Verfeinerung. 1997 benötigte Michel Gondry in seinem Video zu Daft Punks "Around the World" noch Tänzer, um die Loops der beiden Franzosen zu visualisieren. Fünf Jahre später konnte er Kylie Minogue dann Strophe um Strophe fotorealistisch am Rechner vervielfachen und dennoch sein Leitmotiv der Zirkularität nicht aufgeben. Ein Nebeneffekt dieser Geschichtserzählung ist die Verdoppelung der Celebrity-Hörigkeit des Kunstbetriebs. Dave LaChapelles Clip zu "Tears Dry On Their Own" von Amy Winehouse steht in der Ausstellung für das "urbane Leben", liefert aber keinen anderen Blick auf Los Angeles, als es ein beliebiger Clip von Westküsten-HipHoppern tun würde. Nur dass der Regisseur einer der berühmtesten Fotografen der Gegenwart ist.
Leider ist es keine Ausnahme. HipHop, Jungle oder die Graubereiche zwischen experimenteller Popmusik und Medienkunst haben keinen Platz im Kanon von "The Art of Pop Video". Stattdessen setzt die Ausstellung auf gepflegte Nachmittagsunterhaltung für ein kunstbeflissenes Adult-Oriented-Indie-Publikum, das so bequem die Durststrecke im Pflichtprogramm zwischen Art Cologne und c/o pop überbrücken kann. Das ist kluge Standortpolitik, aber leider auch ein wenig vorhersehbar.
"The Art of Pop Video", Museum für Angewandte Kunst Köln, bis 3. 7.; www.makk.de
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