Ausstellung "Impressionismus ist weiblich": Nur Talent, kein Genie
Ab Freitag sind die Werke vier impressionistischer Malerinnen zu sehen. Die Frankfurter Schirn stellt sich damit gegen den Kanon der Kunstgeschichte.
Beispielhaft macht das Gemälde "Die Übergabe des Panal an den Stierkämpfer" sichtbar, wie die amerikanische Künstlerin Mary Cassatt (1844-1926) auf ihren Europareisen die italienischen und spanischen Meister studiert hatte. Das Bild zeigt das lebhafte Interesse der Künstlerin an einer menschlichen Blickbeziehung, wie sie sie ähnlich bei Velázques beobachten konnte. Sie verwendet dieselben intensiven, dunklen Farben wie Goya. Dagegen ist ihr Motiv 1873 ausschnitthaft modern: Eine elegante Dame überreicht einem Torero eine Trophäe. Im Paris des späten 19. Jahrhunderts gehörte die Cassatt zum informellen Kreis der großbourgeoisen Künstlerinnen, die den Impressionismus als urbane Malerei-Moderne definierten.
Die selbstbewusste Künstlerin hinterließ ein kraftvolles Werk, das sich in amerikanischem Besitz befindet. Im Sommer wird ihr kleines, frühimpressionistisches Bild mit dem Torero in den Fine Arts Museums of San Francisco zu sehen sein. Dorthin wandert dann auch die opulente Ausstellung, die Ingrid Pfeiffer in der Frankfurter Schirn kuratiert hat. Neben Mary Cassatt ist sie drei weiteren "Grandes Dames" der Kunst gewidmet, den französischen Impressionistinnen Berthe Morisot, Eva Gonzalès und Marie Bracquemond.
Allerdings geht es in Frankfurt nicht bloß darum, auf Dunkelaubergine getönten, gelegentlich chic kurvenreich geformten Wänden die Werke dieser Malerinnen zu feiern. Es soll darüber hinaus den Ausschlussregeln der kanonisierten Kunstgeschichte nachgeforscht werden. Die Institution zeigt sich hier einmal stolz von ihrer besten Seite, "mit einem", wie es im Katalog heißt, "der ambitioniertesten Themen in der Geschichte der Schirn". Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es vereinigt, in je monografischer Folge, kostbare 150 Objekte aus 54 Sammlungen aus 14 Ländern der westlichen Welt: Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Farbradierungen.
Der Nachholbedarf an Informationen zur kritischen Ausleuchtung kunstgeschichtlicher Traditionen ist groß. Und zumal im Fall des Impressionismus ist es höchste Zeit, sich von einem Verständnis loszusagen, das ihn auf Postkarten-Idyllen verkürzt hat. Schon seit den 1970er-Jahren wird in die Analyse der Kunstwerke der gesellschaftliche Kontext kritisch mit einbezogen. Ein Forschungsansatz, der in den 1980er-Jahren um Gendertheorien sowie kulturhistorische Untersuchungen erweitert wurde. Zur ikonografischen Deutung der 150 Werke liegen seitdem vielfach verflochtene Forschungen vor. An neun Katalogtexten, darunter Texte mit explizit feministischer Perspektive, wird deutlich, dass die Frankfurter auf komplexe und sehr pointierte Weise Bilanz ziehen können. In der Forschung könnte man von einem Datenstau sprechen. Wie geht die Schirn mit dieser Herausforderung um?
Vielfältig sind als Erstes schon die von den Künstlerinnen scharfsichtig beobachteten Themen. Die Unterstellung, dass sie allein stillende Mütter zeigten, ist nicht aufrechtzuerhalten. Zu den Sujets der "Grandes Dames" gehören außer zahlreichen intim-familiären Szenen in privaten Interieurs und Gärten auch Porträts, Stillleben, dazu Motive öffentlicher Ereignisse, Freizeitrituale wie Karneval, Situationen des modernen Lebens in den Parks, Theatern und Opern der französischen Metropole, Landschaftsgemälde sowie Häfen und Strände.
Als die männlichen Impressionisten, der Kreis der freiheitlichen "Indépendants", sich von 1870-86 in den "Salons des Réfusés" gegen den erstarrten Akademismus erhoben, wollten sie auf die qualitätsvollen Bilder ihrer Kolleginnen nicht verzichten und boten ihnen Mitwirkung an. Dies geschah sicher auch zur Stärkung der männlichen Gruppe: Mallarmé und Zola würdigten die Kunst von Eva Gonzalès, während Degas Mary Cassatt und Berthe Morisot unterstützte. Umgekehrt versuchte Morisot 1889 gemeinsam mit Monet, dem Louvre Manets von Debatten und Skandalen begleitete "Olympia" zu verkaufen.
Doch trotz dieses kollegialen Zusammenhalts unterhöhlten oft tief in den Kanon der Konventionen eingeschriebene Mythen schon im Keim die Idee der Gleichwertigkeit. Die Vorurteile gegen beinahe alle Gemälde der Impressionistinnen folgten meist der Hierarchie einer männlichen Genealogie. Zumal sich eine mit Kunstkritik nur liebäugelnde, unwissenschaftliche Schriftstellerei an "Genialität" hielt, die den Männern vorbehalten war. Frauen dagegen hatten bloß Talent. Fintenreich verbarg sich darin ein Konzept des Machterhalts. Dieser Paternalismus zeigte sich auch in der deutschen Literatur in der Zeit zwischen 1900 bis 1910, etwa in Julius Meier-Graefes Büchern zum Impressionismus, in denen er keine der vier Impressionistinnen erwähnte. Unbedeutendere Autoren setzten dies bis 1957 fort. 1955 bezog der Kunsthistoriker G. F. Hartlaub nur Berthe Morisot in seine Betrachtung ein.
Immerhin war die Künstlerin ein Gründungsmitglied des impressionistischen Kreises. Ihre Vorliebe für die - im 18. Jahrhundert von Rosalba Carriera, der Erfinderin der Pastellmalerei, und von Fragonard - bevorzugten hellen Farben wurde zu ihren Lebzeiten als Ausdruck von "Feminität" diskutiert. Selbst wenn sie damals in Frankreich gut etabliert war, beschrieb sie ein französischer Kritiker des späten 19. Jahrhunderts genüsslich "als launische Eva, die in den Apfel beißt" und bemängelte, dabei führe sie ihre Kunst nicht zur Vollendung. Auch die englische Literatur griff diese Meinung später auf. Somit erscheint Kunstgeschichte als willkürliche Mythen-Sphäre, gespickt mit Vor- und Fehlurteilen, die in endlosen Verzweigungen vervielfältigt wurden. Es dominierten konventionelle Muster, mit denen sich vor allem der Status der Werke vermindern ließ.
In begrifflich allzu gerne schwankender Pauschalisierung wird die veritable Neuheit, dass in der impressionistischen Bewegung auch Frauen ihren Platz hinter der Staffelei behaupteten, zusammen mit einer an sich auffälligen Vorliebe für die Darstellung von Frauen in ihrer modernen Lebenssituation als Affinität der Bewegung überhaupt zum "Weiblichen" beschrieben. Ein Urteil, das sich je nach Gusto oder Ziel mal ins Negative, mal ins Positive wenden ließen. Und ein Urteil, dem, wie die Kunsthistorikerin Tamar Garb Ende der 80er-Jahre feststellte, teilweise bis in die heutige Zeit Gültigkeit zugesprochen wurde. Beim Besuch der Frankfurter Schau erweist sich allerdings die unterstellte weibliche Sehweise des Impressionismus als schiere Projektion.
Mary Cassatt etwa zeigt in ihrem Werk, dass sie über die Konventionen von tradierter "maternité" sehr wohl Bescheid wusste und sie deshalb auch in ganz neue Facetten aufsprengen konnte. So zeigte sie, wie Kinder Erwachsene als Gegenüber erkunden und ihnen neugierig und besitzergreifend ins Gesicht fassen. Ihre Analyse war immer treffend, zornige Baby-Modelle bezeugen, wie unsentimental und interessiert sie der Mutter-Kind-Dyade künstlerisch begegnete. Die Forscherin Griselda Pollock hält sie entsprechend für eine Künstlerin, die ihre "Faszination für Blickbeziehungen" auf ganz moderne Weise zum Ausdruck brachte.
Sicher ließe sich der künstlerische Erfolg, den etwa Eva Gonzalès und Marie Bracquemond erfuhren, in der nur kurzen Schaffenszeit, die ihnen vergönnt war, unter dem Aspekt der "Modernität" wesentlich plausibler erklären als unter dem Aspekt der "Feminität". Zu dem Aspekt Weiblichkeit heißt es zunächst einmal anzumerken, dass die Pariser École des Beaux-Arts erst 1897 Frauen widerstrebend zum Studium zuließ. Da hatten alle vier Impressionistinnen ihre Leinwände schon seit Jahrzehnten bravourös bemalt. Eine getrennte Aktklasse, in der den Kunststudentinnen das Zeichnen unbekleideter Modelle erlaubt war, wurde nach mehreren Parlamentsdebatten erst 1900 eröffnet.
Souverän setzt man in Frankfurt immer wieder die großartigen Werke von Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalès und Marie Bracquemond in einen weiteren Kunstkontext: Eindrucksvoll waren die Künstlerinnen etwa von der japanischen Kunst inspiriert, die in dieser Zeit in Europa bekannt wurde. Auf mutige Leerstellen in Gemälden wird aufmerksam gemacht, auf flächige Abstraktionen, die für die Zeit avantgardistisch und kühn waren. Qualitäten werden erörtert, bei denen eine geschlechtsspezifisch differenzierende Zuordnung sinnlos und obsolet ist, ob es etwa um die lichtdurchflutete Leuchtkraft von "beinahe künstlichen Farben" geht oder die allseits enorme Plastizität der Formen.
Schon 1877 rühmte Paul Mantz an Berthe Morisot "die Hand, die nicht mogelt". Er war bestrebt, ihre Handwerklichkeit über die Gruppe "der Revolutionäre" zu stellen. So entdeckt man neben Zeugnissen von kollegialer Unterstützung mehr und mehr auch solche von Spannungen und so manches Gerangel um Techniken des Vorrangs.
Schade und peinlich in Hinblick auf die ernsthafte kunsthistorische Auseinandersetzung, die die Ausstellung leistet, ist die Art, in der die Schirn ihre Schau als Blockbuster annonciert. Nachdem die schönsten Franzosen aus New York kommen, wie wir inzwischen erfahren mussten, will Frankfurt Berlin in der Frage des Slogans offenbar nicht nachstehen und behauptet: "Impressionismus ist weiblich". Obwohl die Ausstellung dieser Verkürzung explizit widerspricht.
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