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Ausstellung Bundeszentrale für politische Bildung"68 - Brennpunkt Berlin"

Kommentar von Wolfgang Gast

Die 68er-Ausstellung der Bundeszentrale für politische Bildung ist bei überbordender Detailfülle doch durch eine auffällige inhaltliche Leere gekennzeichnet.

Studentenführer Daniel Cohn-Bendit am 27.06.1968 an der Freien Universität Berlin. Bild: dpa

Berlin-Charlottenburg, Hardenbergstraße. Vor dem früheren Amerikahaus ist ein Wasserwerfer platziert, aus dem via Tonbandschleife immer wieder erschallt: "Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei." Eine auf den Gehweg gestellte Einladung zur Ausstellung "68 - Brennpunkt Berlin", die bis Ende Mai an die Ereignisse der Studentenrevolte in Berlin erinnern will. Der Ort ist gut gewählt, das Amerikahaus war ob des Vietnamkriegs selbst immer wieder beliebtes Ziel von Stein- und Farbbeutelattacken in jener Zeit. Und so gruppieren sich die Exponate der Ausstellung auch hauptsächlich entlang der wichtigen historischen Ereignisse: neben dem Vietnamkrieg, die legendäre Schlacht zwischen Studenten und Polizei in Westberlin am Tegeler Weg; die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg beim Berlinbesuch des persischen Diktators Reza Pahlevi; die hasserfüllte Berichterstattung der Bild-Zeitung und die Schüsse auf Rudi Dutschke im April 68 oder neue gesellschaftliche Orientierung, Sexualität und Kommune 1.

Das alles ist ganz akkurat in der Ausstellung der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) wiedergegeben. Mit Texten und Bildern auf Schautafeln, Videos und nicht zuletzt vielen dokumentarischen Bilder des Fotografen Günter Zint, eines der wichtigen Chronisten "der Bewegung". Und doch bleibt die - zumeist auf die universitäre Seite fokussierte - Schau im 39. Erinnerungsjahr zu "68" seltsam leer und leidenschaftslos. Die Detailfülle der Exponate kann nicht verbergen, dass die Ausstellungsmacher vor allem einen großen Bogen um Bewertung und Einordnung der Revolte von 1968 machen. Oder, wie es Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale, bei der Eröffnung Anfang Februar formulierte, die "Ambivalenz des Gegenstands" betonen. Und so bewegt sich der Besucher nun im Nebel des Unverbindlichen, im Reich eines Sowohl-als-auch.

Vor zehn Jahren noch, auch damals gedachte man aufwändig der 68er-Bewegung, betrachte man "68" mehrheitlich als einen notwendigen gesellschaftlichen Aufbruch, der zur Demokratisierung der Republik und zum radikalen Bruch mit den Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus beitrug. Zehn Jahre später hat sich die Lesart deutlich geändert. Aus den 68ern sind auf einmal die Kinder der 33er geworden - die Nachkommen von Massenmördern, die mit der Person von Mao Zedong selbst einen Verbrecher verehrten.

Nicht jeder geht dabei so weit wie der der Alt-68er und Historiker Götz Ali, der mit dieser plakativen Gleichsetzung von 1933 und 1968 antritt, um den "Mythos 68" vom Sockel zu stoßen. Der konservativen Seite genügen die vermeintlichen Langzeitschäden von 68, als da wären: Zertrümmerung der Institution Familien, der Verlust von Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. "68" als ein einziges definitionsmächtiges Grauen. Oder wie Bild-Chef Kai Dieckmann weiß: "1968 bestimmt unser Leben bis in die letzten Fasern: Staatsgläubigkeit, kryptosozialistische Versorgungssysteme, Selbsthass, Identitätsverlust."

Der Kampf um die Neudeutung des Epochenbruchs wird im Amerikahaus nicht völlig negiert. Das macht die peinliche Pro-und-Contra-Maschine deutlich, die die Ausstellungsmacher - die selbst Posten im sicheren Graben der Ausgewogenheit und der Neutralität beziehen - im Foyer aufgestellt haben. Hier können die Besucherinnen und Besucher abstimmen, ob sie 68 eher für gut oder für schlecht halten. 61 Stimmen pro, 51 ohne Meinung, 34 contra, so der Stand am Eröffnungsabend.

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