■ Außenpolitik in der globalen Risikogemeinschaft: Zur Legitimität von Intervention
In Ex-Jugoslawien wird seit zwei Jahren ein erbarmungsloser Eroberungskrieg geführt, und weltweit werden kriegerische Konflikte mit einer unüberschaubaren Eskalationsdynamik bis hin zu Atomkriegsszenarien, ethno-nationalistischen Bürgerkriegen und innerstaatlichen Auseinandersetzungen zunehmen. Wenn nicht weiterhin am Postulat der Nichteinmischung festgehalten werden soll, muß ein glaubhaftes, kategoriengestütztes Einmischungskonzept entwickelt werden. Zur Bewältigung der vielfältigen politischen Herausforderungen gibt es keine Alternative zu den Vereinten Nationen.
Internationale Einmischung orientiert sich am Schutz der Menschenrechte. Wer sich einmischt, kümmert sich um fremde Angelegenheiten. Es darf uns nicht gleichgültig sein, ob Teile Europas in repressive Gesellschaftsformen zurückgedrückt werden oder Bürgerkriege zum Normalfall werden, „da weder ein Staat noch eine Staatengemeinschaft...Bestand haben (kann), wenn die Bürger gegen das Unrecht, das andere trifft, gleichgültig werden“ (K. Jaspers). Einmischung wird als ein normativer Ansatz der Außenpolitik mit einem konkreten Handlungsspektrum verstanden, was von zivilen, auch nicht-staatlichen Aktivitäten, über die klassischen Mittel der Beeinflussung bis hin zu Maßnahmen operativen Zwangs (auch unter Anwendung militärischer Gewalt) reicht. In diesem Sinn ist Einmischung keine kriegerische Handlung, aber auch keine folgenlose Harmlosigkeit. Internationale Einmischung muß unangenehme Konsequenzen aufzeigen und negative Folgen bei Ignoranz auch durchsetzen können.
Menschenrechte sind universal. Unabhängig von politischer Verfaßtheit, geographischer Entfernung, ökonomischer und geostrategischer Bedeutung von Staaten muß die Geltung und die Anerkennung der Menschenrechte eingefordert werden und zum Kriterium für außenpolitische Aktivitäten werden. Gegen das Konzept internationaler Einmischung zum Schutz der Menschenrechte könnte nun von der Realpolitik eingewendet werden, daß die machtpolitischen Verhältnisse auf diesem Globus quer zur Verwirklichung des universalen Anspruchs stehen. Es wäre demnach naiv zu glauben, daß es möglich ist, gegenüber Groß- und Mittelmächten eine internationale Einmischung durchzuführen. Unterschiedlicher Mitteleinsatz bedeutet gleichwohl nicht die Auflösung der normativen Kraft des Konzeptes. So muß zum Beispiel gegenüber China nicht der Anspruch auf universale Geltung der Menschenrechte aufgegeben, sondern es müssen andere, adäquatere Mittel eingesetzt werden.
Schutzversprechen erfordern Verwirklichungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten. Auch wenn sich die völkerrechtliche Diskussion nur langsam der Notwendigkeit einer Überprüfung des Nichteinmischungsverbots öffnet, befreit dies nicht von der Notwendigkeit, eine Einmischungskasuistik zu entwickeln – d.h. welches Verhalten von Staaten bzw. gesellschaftlichen Gruppen legitimiert die internationale Einmischung durch kollektive Akteure? Unstrittig ist, daß die Notwendigkeit, wenn nicht gar ein Zwang zur Einmischung bei Völkermord, ethnischen Säuberungen, Massenvertreibungen, „chronischen“ Bürgerkriegen und massiver Verletzung von Menschen- und Minderheitenrechten (wie z.B. systematische Vergewaltigung von Frauen) gegeben ist. Strittig und diskussionsbedürftig sind viele andere Fragen, wie z.B. nach den Problemen durch „ökologische Bedrohungen“ oder etwa das ungebremste Streben verschiedener Staaten nach Massenvernichtungsmitteln. Hier sind auch die Grenzen der Einmischungsfähigkeit erreicht, weil sie die Grenzen der Glaubwürdigkeit berühren. Wer selbst negative Öko-Schreckensbilanzen produziert und ungebrochen an der Nuklearabschreckung festhält, kann nicht überzeugend das Verhalten anderer beeinflussen wollen.
Bei der derzeitigen Verfaßtheit der kollektiven Institutionszusammenhänge erfüllen lediglich die Vereinten Nationen die Voraussetzungen für eine internationale Einmischung. Aber selbst bei der Weltorganisation gibt es scheinbar unüberwindliche Hindernisse, bis man zu einem handlungsfähigen Akteur internationaler Einmischung werden kann. Selbst wenn eine Reform der Institution von allen Staaten mit aller Kraft angestrebt würde, bleibt eine unkalkulierbare Zwischenzeit, für die adäquate Regelungen gefunden werden müssen. Die Vereinten Nationen müssen bei ihren konfliktvermeidenden, präventiven und friedensbewahrenden Maßnahmen unterstützt werden. Dazu könnte Deutschland ein Kontingent aus motivierten Menschen unterschiedlicher Organisationszusammenhänge (aus humanitären Hilfsorganisationen, der Bundeswehr, der Verwaltung, der Polizei, des Zivilschutzes und geeigneter Nichtregierungsorganisationen etc.) aufstellen. Das Kontingent sollte die UNO in den folgenden Angelegenheiten unterstützen:
bei der Bekämpfung von Natur- und Hungerkatastrophen, bei Umweltgefährdungen, bei der Wahrung individueller Menschenrechte, bei friedlicher Konfliktschlichtung und bei der Durchführung von Maßnahmen operativen Zwangs (wirtschaftliche, völkerrechtliche, kulturelle, soziale Sanktionen und beschränkte militärische Operationen). Vor dem Einsatz bestimmter Einmischungsmittel, insbesondere im Rahmen begrenzter Militäroperationen, ist zu prüfen, ob erstens glaubwürdig und mit Absicht auf Erfolg alle nichtmilitärischen Konfliktlösungsmittel nachvollziehbar ausgeschöpft wurden und zweitens, ob die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt ist. Insbesondere der qualitativ bedeutsame Eskalationsübergang von nichtmilitärischen Mitteln auf militärische Zwangsmaßnahmen bedarf dieser normativen Rückgebundenheit. Internationale Einmischung ist indes nur dann glaubhaft, wenn es gelingt, die Praxisrelevanz und -tauglichkeit für jeden Einzelfall zu verdeutlichen.
Im Fall Bosnien-Herzegowina ist die Diplomatie offensichtlich am Ende. Nichts von den diversen Verhandlungsrunden hat die Lage der Menschen in den Kriegsgebieten unmittelbar verbessert. Vielmehr wird das Prinzip einer Friedenskonferenz permanent konterkariert, denn solange verhandelt wird, gibt es keine wirksame Einmischung. Solange profitieren auch die Eroberungskräfte.
Was werden die Menschen aus diesem Krieg lernen? 1. Krieg scheint wieder ein taugliches Mittel zur Durchsetzung hegemonialer und territorialer Ambitionen; 2. Die Verhandlungen nutzen dem Aggressor, der nun friedensfähig wird, weil er seine territorialen Gewinne absichern möchte; 3. Die Instrumentarien und Einmischungsmittel nichtmilitärischer Konfliktbewältigung sind theoretisch ausgebreitet, in Einzelaspekten praktisch erprobt, aber zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Es ist zu befürchten, daß weiter geredet und in Bosnien-Herzegowina weiter geschossen und gestorben wird.
Das Ziel einer internationalen Einmischung in diesem Konflikt wäre es, möglichst viele Menschen zu retten. Und wer das Überleben schutzbedürftiger Menschen in be- und umkämpften Regionen sicherstellt, ergreift Partei für die Menschen und gegen jede Bürgerkriegsarmee. Achim Schmillen
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