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Ausschreitungen in Thailand eskalierenBangkok in Flammen

Nach der Räumung des Rothemden-Camps in Bangkok entlädt sich der Zorn der Demonstranten: Die Börse, das größte Kaufhaus und ein TV-Sender brennen.

Das zweitgrößte Kaufhaus Südostasiens, das Central World, steht in Flammen. Bild: reuters

Bangkok in der Morgendämmerung: Die "Operation Ratchaprasong" beginnt. Am Eingang des Lumphini-Parks sammeln sich Militärs und Soldaten. Geduckt warten sie hinter einer Mauer auf den Befehl zum Einrücken. Dann quäkt das Walkie-Talkie des Einsatzleiters, er winkt. Erst geht die Polizei rein, die Soldaten folgen. Alle rennen über den Rasen, suchen Deckung hinter Bäumen, Sitzgruppen, Toilettenhäuschen. Es geht nur langsam vorwärts. Einer in der Gruppe mahnt zur Vorsicht: In den umliegenden Hochhäusern seien Scharfschützen postiert. Es wird vermutet, Rothemden hätten sich im Park versteckt.

Es geht weiter im Zickzackkurs - dann macht der Trupp vor einem Gebäude der Parkverwaltung halt. Wieder heißt es warten. Der Lumphini-Park grenzt direkt an das von den oppositionellen Rothemden besetzte Geschäftsviertel im Herzen der Hauptstadt. Die Idylle des sonnigen Maimorgens täuscht - plötzlich peitschen Schüsse durch die Stille, dann knallt es etliche Male. Über den Bäumen steigt dichter, schwarzer Rauch auf, er umnebelt das Viertel. Es sind die Barrikaden der Rothemden, die da lichterloh brennen - Autoreifen, Bambusstöcke, Tücher. Der Leiter dieses Spezialtruppe ist ein großer, drahtiger Mann mit kurz geschorenem Haar, freundlich, gelassen. Er solle mit seinen Leuten zwei Tore des Parks sichern, sagt er. "Ich befolge Befehle", sagt er noch, "gern tue ich diesen Job heute nicht."

Auf einmal herrscht Totenstille. Aus dem Parktor geht es rechts ein Stück die Straße runter - dahinter liegt das, was wochenlang das Camp der Rothemden war. Rauch und Gestank von verbranntem Plastik und Abfällen werden immer stärker. Die Szenerie, die sich darbietet, sieht aus wie nach einem Krieg - und es war auch einer. Die Barrikaden der "roten" Demonstrationsmeile sind eingerissen - überall liegen zersplittertes Glas, zerfetzte Planen und Reste von Zelten, der Müll häuft sich bergeweise. Blut- und Brandflecken sind zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt hat es schon mindestens drei Tote gegeben - die Leichen liegen auf dem Bordstein, darüber sind Tücher gelegt. Es herrscht beklemmende Stille.

Langsam bewegen sich die Soldaten vorwärts - hinter ihnen ein riesiger Reporterpulk. Plötzlich peitschen erneut Schüsse durch die Luft, alle gehen in Deckung. Die Lage ist brenzlig, zu brenzlig, um auf der Straße zu sein. An einer kleinen Kreuzung wird haltgemacht. Alle verharren, dann gibt es einen Tumult. Mehrere Soldaten spurten auf die andere Straßenseite, umringen eine Gruppe von acht Männern und zwei Frauen, die sich dort aufgehalten haben. Die Armee hält sie für Rothemden oder deren Sympathisanten. Sie alle werden in ein Gebäude gebracht, das wie eine kleine Lagerhalle aussieht, sie werden gefesselt und bekommen die Augen verbunden. Schließlich fährt ein Polizeiwagen vor, die Festgenommen werden abtransportiert.

Dann geht alles so schnell, dass man kaum rechtzeitig reagieren kann: Wieder knallen Gewehrsalven, eine Gruppe von Journalisten und zwei buddhistische Mönche, die plötzlich auf der Straße aufgetaucht sind, retten sich in einer schmale Seitengasse. Es ertönt eine ohrenbetäubende Explosion: Eine M-79-Granate ist losgegangen, der Boden erzittert förmlich. Bedrückende Meldungen machen an diesem gesamten Morgen die Runde: Ein italienischer Kollege ist getötet, zwei andere sind verletzt worden.

Irgendwann hört man ganz schwach einen der Lautsprecher, vermutlich ist noch einer an der Hauptbühne der ehemals "roten" Demonstrationsmeile in Betrieb. Später wird man erfahren, was die Anführer gesagt haben. "Ich weiß, dass es für einige von euch inakzeptabel ist", wurde Nattawut Saikua in den Medien zitiert. "Aber wir stoppen jetzt unseren Widerstand", sagte er und rief die Oppositionellen auf, sich vollständig aus dem Viertel zurückzuziehen. Ein weiterer Mitstreiter, Jatuporn Prompan, soll unter Tränen versichert haben, dass man keine weiteren Toten mehr wolle. Mindestens vier der roten Anführer stellen sich der Polizei.

Doch die Rufe nach Rückzug verhallen ungehört. Schlimmer noch: Nach der Niederschlagung an der Ratchaprasong bricht in etlichen Teilen Bangkoks Chaos aus. Wütende Rothemden werden zum Mob: Sie randalieren an Straßenkreuzungen und setzen Gebäude in Brand, darunter auch das größte Kaufhaus Bangkoks, die thailändische Börse und einen Fernsehsender.

Später, am Nachmittag, versammeln sich mehrere hundert Menschen am Victory Monument, einem großen Denkmal und Kreisverkehr am Rand der Innenstadt. Rund hundert von ihnen sind vermummt, andere tragen Motorradhelme. Einige schwarz gekleidete Ordner der Rothemden sind zu erkennen. Die meisten sind jedoch ganz normale Passanten.

Ein Mann, er ist etwa 40 Jahre alt, sagt: "Heute Abend wird es losgehen. Denn wir sind im Recht. Dennoch hat die Regierung und die Armee so viele Menschen getötet." Ein Frau fügt hinzu: "Mit blutet das Herz. Warum sind so viele Menschen gestorben? Weil wir unser Recht auf Wahlen einfordern?" In einer Nebengasse brennen Autoreifen. Der Himmel darüber färbt sich pechschwarz.

Die Vermummten beginnen, Telefonzellen aus ihren Verankerungen zu reißen, und kippen sie auf die Straße. Die Menge jubelt ihnen zu. Andere Protestler stürmen heran und schlagen mit Holzlatten und Eisenstangen die Scheiben ein. Eine Verkäuferin von einem mobilen Essenstand, sie trägt eine weiße Schürze, hebt eine Holzlatte von der Straße auf und schlägt ebenfalls die Scheibe einer Telefonzelle ein. Die Zuschauer lachen, applaudieren und johlen frenetisch.

Dann beginnen Randalierer, das Rollgatter eines geschlossenen Supermarkts am Rand des Kreisverkehrs aufzubrechen. Vielen Zuschauern ist der Schreck ins Gesicht geschrieben. "Das geht doch nicht!", rufen sie und rennen entsetzt weg. Doch die meisten Zuschauern jubeln. Die Demonstranten schlagen die Scheiben ein und plündern das Geschäft. Ein Mann trägt die Registrierkasse davon.

Nur wenige Meter entfernt beobachten Polizisten die Vorgänge. Sie machen keine Anstalten, einzuschreiten. Schon lange hat Thailands umkämpfte Regierung befürchtet, die Polizei stehe insgeheim auf der Seite der Rothemden. Vorfälle wie dieser geben dieser Befürchtung Nahrung.

Mehr als 20 Gebäude stehen am frühen Abend in Bangkok in Flammen. An mehr als einem Dutzend Orten in der Stadt haben sich Demonstranten versammelt und fordern die Soldaten heraus. Im Nobelviertel Sukhumvit östlich der Innenstadt brennen an mehreren Stellen Reifen. Auch hier ziehen kleinere Gruppen durch die Straßen, zerstören Telefonzellen und schlagen Scheiben ein.

In mehreren Städten im Norden und Nordosten des Landes, wo der gestürzte Expremier Thaksin besonders viele Anhänger hat, stürmen Demonstranten Regierungsgebäude und zünden sie an. Nachrichten aus diesen Teiles des Landes dringen nur spärlich nach Bangkok; doch es wird von wiederholten schweren Zusammenstößen berichtet.

Hinzu kommen schwere Angriffe auf die Medien. Demonstranten stürmen am Nachmittag in Bangkok das Gebäude des staatlichen Senders Channel 3 und werfen Brandbomben ins Erdgeschoss. Etwa hundert Mitarbeiter werden von Hubschraubern evakuiert. Auch warnen Randalierer mehrfach Fotojournalisten drohend, Aufnahmen von ihnen zu machen. Die regierungsnahe Tageszeitung Bangkok Post schließt nach Drohungen ihre Büroräume und schickt ihre Mitarbeiter nach Hause.

Den Medien kommt bei der derzeitigen Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle zu. Im Camp der Rothemden wurde die Stimmung gegenüber Journalisten in den vergangenen Tagen immer feindseliger. Schon vor Wochen hat die Regierung per Notstandsverordnungen das Übertragungssignal von "Peoples Television", dem Fernsehsender der Rothemden, abschalten lassen. Mehr als 600 Websites von Aktivisten wurden geblockt. Vor allem die Medien in Bangkok selbst haben sich in den vergangenen Wochen immer mehr auf die Seite der Regierung geschlagen und deren Diffamierungskampagnen gegen die Demonstranten und deren Anführer mitgetragen.

Dennoch lässt das Zentrum für die Lösung von Notstandssituationen (Cres), der gemeinsame Notstandsstab von Armee und Regierung, am Nachmittag sämtliche staatlichen Sender gleichschalten. Bangkoks Fernsehstationen übertragen den ganzen Abend lang Erklärung von Armee und Regierung. Teilnehmer einer Talkshow diskutieren Wege aus der Krise. Dazwischen wird immer wieder ein kurzer Film eingespielt, der in Thailand normalerweise vor jedem Kinofilm gezeigt wird.

Er zeigt Thailands 82-jährigen König, der seit Monaten mit einer schweren Erkrankung im Krankenhaus liegt, mal als Wissenschaftler, mal als renommierten Jazzmusiker, mal als kreativen Erfinder. Eine Kinderstimme erzählt dazu, wie sehr alle Thais ihren "Vater" bewundern, und preist die Einheit der Menschen in Thailand.

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7 Kommentare

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  • SF
    Sven Franz

    Beeindruckender Augenzeugenbericht. Noch mehr beeindruckt hat mich aber der Kommentar von Georg Blume auf der ersten Seite, den ich hier nicht finde.

    Endlich sag's mal einer: Das die armen und unterdrückten Massen die Luxustempel der Reichen abfackeln ist nicht nur überfällig, sonder zu begrüßen.

    Naja, genau das hat er natürlich nicht gesagt. Und ich muß ihm widersprechen,daß das hier im fetten Westen nicht auf Begeisterung stößt ist nicht überraschend.

  • MG
    marco grandmann

    Liebe Glass und Zastiral, ich hoffe Ihr schreibt diese Artikel von Ferne denn dann seid Ihr zum Teil entschuldigt weil Ihr nicht versteht. Auch dass die TAZ immer erst die Seite von Protestlern einnimmt...in der Regel sind es ja Unterprivilegierte und darum lese ich sie ja auch. Nur stimmt das hier nicht. 1. Was haben Heckenschuetzen, Brandanschlaege, die Noetigung von ganzen Stadtgebieten, Pluenderung von Geschaeften und marodierende Massen mit Protest zu tun?Beispiel : Abfackeln und Pluendern von 24Stunden Laeden ueber denen Menschen wohnen. Dann Heckenschuetzenplazierung um die Feuerwehr am Loeschen zu hindern. Fuerwahr, sehr revolutionaer. 2. diese Regierung ist, wenn auch nicht gewaehlt im landlaeufigen Sinn, so doch legitim und die einzige Konstellation die seinerzeit vorhanden war.Allerdings : sie schuldet dem Land eine Wahl die jetzt dank der Rothemden nicht bald stattfinden kann sonst faengt die Gewalt von vorn an. 3. es geht hier in erster Linie nicht um irgendwelche sozialen Misstaende sondern allein darum diesen eher kriminellen Thaksin , seine Kumpels und ein paar andere Figuren , allesamt ungebildet und gierig auf Geld und Macht, die eher gebildete Schicht der gegenwaertigen Regierung ersetzen zu lassen. Sollte dies mit Strassendruck erfolgen ohne Wahlen waere das auch Recht.4. die sogenannten Rothemden sind eher gefuerchtet als die Armee, sind generell gewaltbereit und rekrutieren sich aus allem moeglichen Abschaum plus ein paar tausend verblendeter Farmer die wirklich glauben was Thaksin (ein verurteiletr Krimineller der aus Paris ueber Video die Leute verhetzt und anschliessend shopping geht)versprach : Freibier fuer alle.

    Last not least : es gibt grosse Misstaende hier und das Sozialsystem ist recht krass in seinen ungerechten Verhaeltnissen aber durchaus auf dem Wege der Besserung, im Thai Schritt : seeeeehr langsam. Die groessten Maengel hat hier das Erziehungssystem das einen Grossteil des Problems ausmacht. Aber auch Thai-typische Probleme, alte Traditionen und Denkweisen die sehr schwer zu verstehen sind und an denen Reformen oft scheitern. Selbst die Armee hat inzwischen eingesehen , dass sie moderne Zeiten nicht befehlen kann und jetzt faengt die ungewaschene Masse an ohne zu merken , dass sie von mafioesen Figuren ausgenutzt wird. Die beste Chnace dieses Landes allmaehlich in einen "modernen Staat" mit relativ sozialem Ausgleich zu kommen liegen tatsaechlich bei der gegenwaertigen Regierungspartei die allein in all den Jahrzehnten immer wieder versucht hat die Grundlagen zu aendern.Alle wirklichen Versuche dieses Thaksins Sozialgesetze zu aendern waren alles Programmteile von dort, die er gehijackt und fast undurchfuehrbar vergurkt hat. Revolutionen und Mobs haben in der Geschichte ueberall nur immer bewirkt, dass fuer laengere Zeit die Strasse herrscht und alles kurz und kleinschlaegt. Danach ist dann immer nur eine andere Gruppe Diebe dran.

  • MS
    Michael Sontheimer

    Respekt und Dank den beiden Autoren. Ihr Text ist eine brillante Reportage, weil sie einem deutlich und beklemmend vermittelt, was in Bangkok passiert ist. Auf SPIEGEL ONLINE sind nur die Agenturmeldungen zusammengeschrieben.

  • E
    ensu

    Die Börse brennt? Klasse, hoffentlich brennen bald alle Börsen (und mit etwas Glück, werden sie sich nie mehr aus der Asche erheben)!

     

    ciao...

  • B
    Bernd

    Es ist schon etwas befremdlich, welches Bild die Medien von den "Rothemden" zeichnen. Der Artikel erweckt den Eindruck, es handle sich hier in erster Linie um einen randalierenden und plündernden Mob. Tatsächlich hat der Großteil der Bevölkerung friedlich und aus gutem Grund protestiert, während die Militärs schon vor Tagen begonnen haben, unbewaffnete Demonstranten zu erschießen.

     

    Seit die Journalisten sich nicht mehr in der besetzten Zone aufhalten dürfen, scheinen sie zunehmend die Propaganda der Regierung zu übernehmen.

  • P
    P.Haller

    Sowas kommt eben (manchmal) dabei raus, wenn die (meist arme) Bevölkerung immer und immer wieder beschissen und für blöd verkauft wird und die Eliten mit diesem "Humankapital" genauso umgehen, wie es an den Zockerbörsen eben so üblich ist.

     

    Keiner sollte sich wundern, wenn die Leidensfähigkeit der Menschen ihre Grenzen erreicht !

     

    Und keiner sollte darauf wetten, dass es bei uns in Europa immer so kuschelig und harmonisch zugeht wie zur Zeit. Auch hier könnte mal das Fass überlaufen !

    Obwohl.... wir leiden noch zu wenig.

  • S
    Sebastian

    Aber jetzt soll sich da bloß keiner Beschweren wegen Arbeitslosigkeit. Wichtige Tourismusorte zu zerstören, ich versteh es einfach nicht...