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Archiv-Artikel

Ausgerechnet Gewerkschafter bringen Angestellte um Arbeitnehmerrechte: Bei der Abwicklung des Bremer Bildungsträgers ABC ziehen Gewerkschafter die Fäden – damit es nicht so teuer wird. Jetzt trifft man sich vor Gericht Die kühle Kammer

Wie die gut betuchte Arbeitnehmerkammer mit langjährigen Mitarbeiter ihres insolventen Bildungscentrums umspringtvon Eva Rhode

„Die Sparvorschläge reichten hinten und vorne nicht aus“, sagt der Kammerpräsident

„Die Gewerkschafter erlauben sich hier etwas, wofür sie jeden privaten Arbeitgeber an den Pranger stellen würden.“ Der Bremer Rechtsanwalt Axel Adamietz ist auf 180. Er vertritt 16 von 31 kürzlich entlassenen Erwachsenen-Ausbildern. Viele darunter Spezialisten: Ausbilder für Faserverbundtechnik, für Arbeits- und Umweltschutz, CNC-Technik. Alle waren Angestellte beim traditionsreichen, gewerkschaftsnahen Arbeiterbildungscentrum (ABC) in Bremen. Ihre Arbeitsschutzklagen will Adamietz jetzt gegen die finanziell gut betuchte Mutter des ABC, die Bremer Arbeitnehmerkammer, durchfechten – um noch ein paar Euro rauszuholen. Denn von den Gekündigten sind viele über 50 Jahre alt – viele schon lange beim ABC und viele ohne Chance auf einen anderen Arbeitsplatz. Sie durch einen „Trick“ um ihre verdienten Arbeitnehmerrechte zu bringen, um ordentliche Kündigungsfristen und Abfindungen, findet Adamietz im Angesicht der Hartz-Reformen besonders zynisch. Vor allem, weil dies auf ein Votum von Gewerkschaftern zurückgeht.

Im Juni dieses Jahres nämlich beschloss die 26-köpfige Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer, die ausschließlich aus honorigen Gewerkschaftern besteht, die Insolvenz der hundertprozentigen Kammertochter ABC. Die hatte über Jahre Miese gemacht. Angesichts von größerem Wettbewerb um weniger Bildungsgeld vom Arbeitsamt würde die Lage sich verschärfen, so die Prognosen. Dafür wollte die Kammer nicht länger zahlen. Die ersten Kündigungen sind raus, der Insolvenzverwalter ist im Haus. Die angeschlagene Bildungstochter ABC wird abgewickelt.

„Hier werden Arbeitnehmerrechte ausgehebelt“, schimpft Adamietz. Kündigung nach Insolvenz bedeute kürzere Kündigungsfristen und geringere Abfindungen. Dadurch spare die ABC-Mutter Arbeitnehmerkammer viel Geld – „ausschließlich auf dem Rücken der ABC-Beschäftigten.“ Die würden nach Jahrzehnten wie heiße Kartoffeln fallen gelassen – „ohne einen Abschied, ohne Dank. Das ist mehr als stillos.“

Adamietz steht nicht alleine. Der ABC-Betriebsrat hat zwar den 31 Kündigungen zugestimmt. „Aber nur, weil sonst der Betriebsübergang der anderen Bereiche gefährdet gewesen wäre“, wie Betriebsratschefin Cornelia Döllner betont. Denn noch sind rund 40 Beschäftigte beim ABC in Lohn und Brot – mit der Hoffnung, dass der Insolvenzverwalter ihre Arbeitsbereiche – die Erstausbildung mit schwierigen Jugendlichen beispielsweise sowie die gewerblich-technische Fortbildung im Bereich E-Learning und Gas und Wasser – verkaufen und so ihre Stellen retten kann. Dennoch will Döllner jetzt mit den Mitgliedern der Vollversammlung darüber verhandeln, inwieweit sich die Abfindung für die Gekündigten aufstocken ließe. Freiwillig. Aus der Kasse der Mutter, der Arbeitnehmerkammer – denn beim ABC ist nichts zu holen. Das sei „eine verdammte Pflicht“, findet Döllner. Es gehe nicht an, dass eine reiche Mutter die Mitarbeiter ihrer armen Tochter so bluten lasse – „nachdem sie sie in die Insolvenz geschickt hat“.

Zwar kam die Insolvenz für viele Beschäftigte überraschend. Aber die marode Kassenlage des ABC war allenthalben bekannt. Schon seit Jahren griff die Arbeitnehmerkammer ihrer Bildungstochter unter die Arme. 800.000 Euro im Jahr, rund zehn Prozent des ABC-Haushalts waren das zuletzt. Zu Jahresbeginn war der letzte reguläre ABC-Geschäftsführer wegen Missmanagements abgelöst worden. Er fand wieder Aufnahme in der mütterlichen Arbeitnehmerkammer – weshalb Beschäftigte sagen: „Kammer und ABC – die waren immer wie zwei Abteilungen einer Firma.“

Das ist auch Adamietz’ Argument. Hier will der Rechtsanwalt hebeln: Schon bei den ersten Güteverhandlungen am nächsten Montag vor dem Bremer Arbeitsgericht will er auf Durchgriffshaftung pochen: Die Kammer müsse für Verpflichtungen der Tochter ABC eintreten, die nie unabhängig gewirtschaftet habe. Also müsse sie auch seinen Mandanten ordentliche Abfindungen bezahlen. „Es geht hier um verbriefte Arbeitnehmerrechte.“

Wohl weil die Kammer in der Vergangenheit schon so oft eingesprungen war, hatten viele Beschäftigte und auch der Betriebsrat bis zuletzt gehofft, die Entscheidung der Vollversammlung würde Sanierung heißen – nicht Insolvenz. Im ABC glaubte man, für die gnädigere Lösung schon Opfer genug gebracht zu haben: Die Erstausbildung schwieriger Jugendlicher sollte zum Jahr 2007 auslaufen – und damit rund 30 feste Arbeitsplätze. Der Betriebsrat hatte weitere Sparvorschläge gemacht: Urlaub statt 13. Monatsgehalt, keine Wiederbesetzung von Stellen, „Arbeitsverdichtung“, Altersteilzeit. „Dieses Sparkonzept wurde nie beraten“, sagt Betriebsratschefin Döllner.

„Diese Vorschläge reichten hinten und vorne nicht aus“, sagt Kammerpräsident Hans-Ludwig Endl. „Ach was, fünf Millionen Minus – die Lage war desolat“, will er sich auf Zahlen nicht festlegen. Dabei hatte seine Brandrede auf der entscheidenden Vollversammlung die Wende zur Insolvenz gebracht. „Sonst wäre die Arbeitnehmerkammer auch ins Schlingern geraten“, sagt Endl. Wie, sagt er nicht. Vor allem aber wohl politisch. Denn die Bremer Arbeitnehmerkammer finanziert sich nach dem Bremischen Kammergesetz durch Zwangsbeiträge: Mit 0,25 Prozent vom Lohn trägt jeder Bremer Beschäftigte dazu bei, dass die Kammer ihrem vorrangigen Gesetzesauftrag, der Bildung von Arbeitnehmern, nachkommen kann. Im kommenden Jahr wird der Kammerhaushalt aus Beiträgen knapp 13 Millionen Euro betragen. Eine Summe, die die Entlassenen wütend macht. Sie sehen sich als Opfer anhaltenden Missmanagements – für das sie die Zeche zahlen müssen. Nicht die Verantwortlichen.

Eine reiche Mutter hat ihre arme Tochter in die Insolvenz geschickt

Dafür spricht einiges. Schon 1996 hatte die Hamburger Unternehmensberatung Bröker und Partner fehlendes Controlling angemahnt. Auch müsse das ABC sich wegbewegen von den zunehmend gefährdeten Einnahmen von Arbeitsamt und Europäischem Sozialfonds und stattdessen auf dem freien Bildungsmarkt akquirieren. „Nichts davon wurde umgesetzt“, sagt Manfred Wallenschus bitter. Auch er ist gekündigt. Der 52-jährige Umweltexperte wird sich im nächsten Jahr selbstständig machen müssen. Bisher plante er Modellprojekte für das Bundesinstitut für Berufsbildung. Künftig wird er diese Leistung frei auf dem Markt anbieten.

Während sich Bildungsträger im ganzen Land umorganisierten, um der veränderten Arbeitsmarktpolitik und neuen Förderkriterien gerecht zu werden, geschah im behäbigen ABC fast nichts. Dabei habe es durchaus aussichtsreiche innovative Ansätze in der Weiterbildung gegeben, die sich auch hätten vermarkten lassen. „Wenn nur Geschäftsführung und Mutter das gewollt hätten. Jetzt trage ich die Kosten für diese Versäumnisse“, sagt er. Vom Arbeitgeber ABC und den Verantwortlichen fühlt er sich abgezockt. Indem ihm wie allen anderen erst nach der Insolvenz gekündigt wurde, verlor er sechs Monate Gehalt und eine Abfindung für 16 Jähre Tätigkeit fürs ABC. Zusammen rund 40.000 Euro. „Geld, das ich für die Selbstständigkeit dringend bräuchte.“