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Ausgehen und rumstehenvon Ehmi BleßmannFeiermüde und okay

Dritter Stock, von den gräulichen Wänden des heruntergekommenen Neuköllner Treppenhauses splittert die Farbe. Wir klingeln an einer deckenhohen Wohnungstür, hinter der es pochend wummert. Die Tür wird prompt von innen aufgeschwungen, blitzschnell bahnt sich der Sound eines zackigen Technotracks seinen Weg durchs gesamte Haus, es schallt, Alter, ist das laut.

„Halloooo! Na, und zu wem gehört ihr?“, fragt die Frau mit der Klinke in der Hand, es klingt wie ein Murmeln, ist aber, so wie sie ihren Mund aufreißt, wahrscheinlich ein von der Musik übertöntes, freundliches Schreien. Sie winkt uns mit großer Geste herein, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich mag diese unversteifte Willkommenskultur bei privaten Partys: Es genügt, wenn jemand jemanden kennt – oder wenn es bloß so wirkt, weil man zum Klingelknopf gefunden hat – und dann ist man mit dabei. Kein Anstehen vor bewachten Toren, wo grimmige Türstehern launenhaft über den Verlauf der Nacht entscheiden, während kleine, verschworene Kreise der immer selben Menschen sich mit Gästelistenplätzen an der Schlange vorbeiwinden.

Der Blick auf den Flurboden, eine eingeübte Überprüfung, mit welcher Art von Hausparty man es zu tun hat: Hier liegen keine ausgezogenen Schuhe, wir sind nicht bei Spießern gelandet, schön! Dafür türmen sich Jacken, vornehmlich schwarze, in einer Ecke wild übereinander. Die Wand über dem Stoffberg verzeichnet drei unförmige staubige Löcher, die Garderobe hat bereits den Geist aufgegeben, irgendwer wird hier morgen verkatert mit Spachtelmasse herumhantieren.

Die Luft ist warm, doch bei Weitem nicht so stickig, wie sie andernorts diesen Samstagabend in den vielen Berliner Clubs sein müsste. Es tropft auch kein Schweiß von der Decke, weil sich der Platz zum Tanzen in der leergeräumten Küche auf einen minimalen Radius, den alle behutsam einhalten, begrenzt. Es wird kollektiv vor sich hin gewippt, die größten Bewegungen machen die energetisch im Takt nickenden Köpfe. Ich quetsch' mich zu der zum Bartresen umfunktionierten Küchenzeile, die den Weg zum Kühlschrank versperrt. Auf dem klebt ein Stück Schuhkarton, den die schnörkelige Beschriftung „Bitte keine Selbstbedienung! Bier 1 Euro, alles andere 2,50!“ und einen mit den letzten Überresten einer Tintenpatrone ausgedruckten QR-Code für PayPal ziert. Ehrliche Preise für von Gasrechnungen geplagte Leute.

Winkende Hände von bekannten Gesichtern hüllen mich in das Gefühl ein, hier schon einmal gewesen zu sein. Das ist nicht der Fall, aber im Dahintreiben zwischen unzähligen Gesprächen mit stets gleichem Einstieg – wie es einem so ergangen sei, seitdem man sich das letzte Mal begegnet ist, was man mittlerweile so tue – vergesse ich das. Ich bin viele Stunden berauscht von diesen Unterhaltungen, die zwischen klirrendem Anstoßen, hastig gedrehten Zigaretten und Rumgewippe auf den rutschigen Küchenfliesen stattfinden. Ich bin auch ein bisschen berauscht vom Ein-Euro-Bier.

In meinem Kopf, oder ist es mein Herz, wird es wieder nüchtern, in dem Moment, in dem ich feststelle, dass all die kurzen und längeren Schlagabtausche aufs Selbe hinauslaufen: Es geht einem den Umständen, dem Chaos der Gegenwart, entsprechend okay. Aber wie es weiter geht, dem steht man ratlos gegenüber, und um sich darüber Gedanken zu machen, bleibt keine Zeit, denn davon gibt’s nicht genug zwischen der Arbeit unter der Woche und Maßnahmen, die Arbeit am Wochenende zu vergessen. Das ist dann der Moment, an dem man eine Hausparty, auch eine gute, verlässt: Wenn man das, was draußen passiert, nicht mehr ausblendet und das einen schlagartig feiermüde macht.

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