Ausgehen und rumstehen von Laura Lückemeyer: Mit Regencape im Märchenland
Ich schaue zur Bühne und werde vom warmen, gelben Licht geblendet, das sich passend zu den Beats der Musik bewegt. Der Nieselregen ergänzt das DJ-Set perfekt, und die herabfallenden Regentropfen werden durch die Lichtreflektionen der vielen Scheinwerfer zu Glitzer, das auf die Menschenmasse niederrieselt. „Habt ihr Lust zu tanzen?“, fragt Monolink spielerisch die Menge und stimmt dabei seinen letzten Song an. Wir jubeln. Wow, was für ein Closing.
Es ist, 22.00 Uhr. Der Bus zurück in die Realität geht morgen früh um 9.00 Uhr. Das haben L. und ich an einem Februarabend so beschlossen. Die letzten Töne faden langsam aus und der Nieselregen verwandelt sich in stärker werdenden Regen, als hätten Künstler und Wetter sich perfekt aufeinander abgestimmt.
„Wir müssen jetzt logisch nachdenken“, sage ich, als wären wir in einem Escape-Room à la Festival Edition. Es gibt drei Möglichkeiten: nass weiter tanzen, zum Zelt gehen und Regenjacken holen, die dem strömenden Regen sowieso nicht lange standhalten, um dann erst einigermaßen trocken, dann halb nass und schlussendlich nass mit einer am Körper klebenden Regenjacke weiter zu tanzen, oder schlafen gehen. Option drei ausgeschlossen. Es darf so jetzt nicht enden. Nicht um 22.30 Uhr.
Eben noch im Märchenland bei strahlendem Sonnenschein, mit Elfen, Feen und nackten Menschen tanzend auf einem Podest, bin ich nun wieder in der Realität gelandet, die leider immer kälter wird. Statt den bunten Bewohner:innen des Märchenlandes sehe ich jetzt nur Regencapes und Regenschirme, die wie ferngesteuert durchs dunkle Nass stapfen. Für eine Sekunde wünsche ich mir, der Typ zu sein, der L. bei Sonnenaufgang auf dem Weg zum Zelt gefragt hat, welchen Tag wir so ungefähr haben. Während ich versuche auszuloten, was wir jetzt am besten machen, hat M. ein Handtuch aus meiner Tasche gekramt, das wir verzweifelt über unsere Köpfe zu halten versuchen. Wir stehen da wie drei bedröppelte Pinguine. „Los, wir gehen zum Zelt“, sagt J. und erlöst mich vom Grübeln.
Am Camp angekommen, wählen wir einen verlassenen Pavillon mit Lichterkette als Base für unsere Gruppe aus, wobei M. beschließt, sich ins Zelt zu verkrümeln. Frisch eingekleidet mit meiner Regenjacke sitze ich dort wartend auf J., als eine Frau einen Stuhl abstellt und sich für das Ausleihen bedankt. „Kein Problem“, sage ich, obwohl mir hiervon ja selbst nichts gehört. J. kommt hinzu und L. hat nun auch zu unserer neuen Bleibe gefunden. Auch C. und N. haben beschlossen, uns Gesellschaft zu leisten, wobei den beiden unser heimeliger Unterschlupf gehört. Wir teilen unser letztes Wasser, updaten den Regenradar und immer wieder stiefelt einer von uns fünfen zu seinem oder ihrem Zelt, um mehr Kippen, Snacks oder warme Klamotten zu holen. Ich rufe A. an, die mir sagt, dass sie fröhlich in der Menge tanze, der Regen scheißegal sei, ihr nicht kalt sei und wir auch kommen sollen.
Mist, denke ich, alles falsch gemacht. „Aber so ist es doch gerade auch ganz okay“, entgegnet mir J. Wir verharren weiter und erzählen uns von unseren Festival-Highlights, N. jammert, dass ihm alles weh tue und generell reden wir so, als würden wir uns schon ewig kennen. Es ist kurz nach 0 Uhr, und der DJ, den ich sehen will, fängt gerade an zu spielen. „Es wird Zeit, Leute, sonst kommen wir nie los.“ Wir verabschieden uns von C. und N., die sich entscheiden, zu bleiben. Nach über einer Stunde bei den beiden stiefeln wir wieder in die Nacht hinein und bemerken freudig, dass der Regen weniger wird. Die Realität hat weitere acht Stunden und 30 Minuten Pause und wir sind uns einig: Das haben wir voll gut abgepasst.
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