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Ausgehen und rumstehen von Andreas HartmannJetzt auch als Straßenmusik: Jazz ist zurück

Endlich T-Shirt-Wetter. Ging ja jetzt auch viel zu lange, dass man sich abends noch fröstelnd dachte, vielleicht doch noch einmal die Heizung aufzudrehen. Aber ohne Wärmepumpe im Haus gönnt man sich so etwas natürlich lieber nicht.

Alle zog es also nach draußen an diesem Wochenende, niemand wollte drinnen bleiben. An den üblichen Abhäng-Hotspots im Freien in Friedrichshain-Kreuzberg war das Gedrängel dementsprechend. Auf dem Landwehrkanal schipperten Pärchen in Schlauchbooten herum und tranken Sekt. Auf der Admiralbrücke wurde eine erste Rekordmarke im Massenabhängen für die laufende Saison gesetzt.

Was überall auffiel: Auch die Straßenmusik ist im großen Stil zurück. Und zwar, wo immer ich auf sie traf, in der Form von Jazz. So wie in den letzten Jahren in diesem Metier die HipHop-artigen Acts die klassischen Gitarrenklampfer abgelöst hatten, macht nun offensichtlich jeder klassischen Jazz. Die Leute stellen sich tatsächlich teilweise mit einem Kontrabass an den Straßenrand und lassen es ordentlich swingen. Jazz ist wieder da als angesagtes Musikgenre, jetzt auch im öffentlichen Raum.

Großes Potential für ein ganzes Jazzfestival im Freien wäre auf der Modersohnbrücke in Friedrichshain gewesen. Die war nämlich gesperrt. Aber nicht, weil der neue Berliner Senat es nun Bettina Jarasch von den Grünen nachmachen wollte mit einem weiteren Versuch, sich endlich langsam in Richtung autofreie Stadt zu entwickeln, sondern weil es dort gebrannt hatte.

Autofahrer wendeten somit entnervt vor der Absperrung ihre Fahrzeuge und man bekam einen Eindruck davon, wie schön es hier sein könnte, wenn sie gar nicht mehr auftauchen würden. Mitten auf der Fahrbahn im Bereich der Brücke ließ es sich nun schön flanieren. Abends konnte man völlig ungestört in Richtung Fernsehturm blicken, während die Sonne unterging. Die Sperrung soll noch eine Weile andauern, heißt es. Damit wäre das Potential vorhanden, hier demnächst richtige Freiluftpartys zu veranstalten.

Wirklich gefrustete Hertha-Fans konnte ich komischerweise nirgendwo finden. Die meisten Anhänger dieses Clubs hatten sich wohl schon vor dem definitiven Abstieg in ihr Schicksal ergeben. Oder sie trauten sich aus Scham ob des desaströsen und nur noch mitleiderregenden Zustands ihres Herzensvereins gar nicht mehr in Blau und Weiß auf die Straße.

Vermissen wird man die Hertha in der Bundesliga natürlich auch als neutraler Fußballgenießer. Schließlich war das, was sie in den letzten Jahren so auf und neben dem Platz veranstaltete, unterhaltsamer als jede Netflix-Serie.

Was das Spitzenwetter an diesem Wochenende auch mit sich brachte, war noch mehr Trubel auf den Sonntagsflohmärkten. Diese sind ja eh schon im Trend, im Zusammenspiel mit Sonnenschein ergibt das ein enormes Gedrängel selbst vor dem unattraktivsten Flohmarktstand.

Klamotten vom Flohmarkt? Nachhaltiges Bewusstsein

Besonders auffällig ist das inzwischen auf dem Trödel auf dem RAW-Gelände. Klamotten auf dem Flohmarkt zu kaufen, gilt inzwischen ja nicht mehr als Ausdruck von sozialer Bedürftigkeit, sondern als Ausweis von nachhaltigem Bewusstsein. Und auf dem RAW-Flohmarkt gibt es praktisch ausschließlich Klamotten und Menschen, die sich für diese interessieren.

Ich weiß selbst nicht, was ich auf diesem Markt überhaupt noch soll, drehe aber trotzdem regelmäßig hier meine Runden, ohne dabei noch irgendetwas zu finden. Was aber an diesem Wochenende auch völlig egal war. Galt es doch, einfach nur draußen und dementsprechend bloß nicht drinnen zu sein. Ganz egal, womit man sich dabei konkret beschäftigte.

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