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Ausgehen und rumstehen von Andreas HartmannSpieleabend ist das neue Ausgehen

So weit ist es jetzt schon gekommen: Der Spieleabend ist das neue Ausgehen. Schon klar, Omikron ist nicht so schlimm und irgendwann erwischt das Virus einen sowieso. Aber deswegen muss man ja trotzdem nicht gleich in einer überfüllten Kneipe abhängen, die sich jederzeit in einen Hotspot verwandeln könnte. Somit also: Auf zum Spieleabend unter Freunden, von denen die meisten gerade erst Corona hatten und andere sich extra vorher testen ließen. Was für ein solides Maß an Grundsicherheit sorgte.

Spieleabende kannte ich allerdings auch schon vor Corona. Früher trafen wir uns immer mal wieder zum „Risiko“-Spielen. Doch der Brettspiel-Klassiker ist inzwischen auf dem Index, weil das Erobern von Ländern und Kontinenten zu oft zu Streitereien geführt hat. Musst du mich jetzt komplett sinnlos in Europa angreifen? Kannst du mir nicht wenigstens Australien lassen? Am Ende gab es immer einen übertrieben triumphierenden Sieger und sonst lauter Genervte.

„Risiko“ zu spielen wäre nun, in der Pandemie, einfach nicht verantwortungsvoll gewesen, falls doch jemand von uns Corona gehabt haben sollte. Bei der ganzen Frustschreierei wäre der Raum ruck, zuck voller gefährlicher Aerosole gewesen.

Also wurde ein Spiel rausgekramt, bei dem niemand die Nerven verlieren musste: „Just One“. Jede muss der Reihe nach einen Begriff erraten, den die Mitspieler zu umschreiben haben. Ist so simpel, wie es klingt. Kooperatives Gesellschaftsspiel nennt sich das. Einen Gewinner gibt es nicht, einen Verlierer auch nicht, was eine neue Erfahrung ist, vor allem im Vergleich zum eher unkooperativen „Risiko“. Aber auf Dauer auch ein wenig langweilig.

Also wurde nach „Just One“ ein Spiel namens „Outburst!“ serviert, das dann den Abend ziemlich schnell ins genaue Gegenteil eines Aerosole reduzierenden Gemeinschaftserlebnisses verwandelte. Bei diesem treten zwei Gruppen gegeneinander an. Abwechselnd bekommt jede von ihnen ein Stichwort vorgelegt, zu dem jeder aus der Gruppe in einer bestimmten Zeit möglichst viele Begriffe herausschreien muss. Beispielsweise: Welche Ziersträucher kennt ihr?

Lustig war, dass wir eine Edition von „Outburst!“ aus dem Jahre 1993 hatten. Als dann etwa „Deutsche Schauspieler“ gefragt waren, musste man sich schon ein wenig in die damalige Zeit zurückdenken. Aber darauf, dass dann ausgerechnet unter anderem Herbert Grönemeyer gefragt war, ist trotzdem niemand gekommen. Und dass vom Gendern damals auch noch niemand etwas gehört zu haben scheint, auch nicht: Gesucht waren tatsächlich nur männliche Schauspieler. Auch, dass bei den „berühmten Italienern“ Benito Mussolini mit dabei war, bei den „berühmten Bartträgern“ Adolf Hitler jedoch geflissentlich übergangen wurde, war einigermaßen irritierend. Und mit Ziersträuchern kannte sich von uns übrigens auch niemand aus.

Am Ende des Spieleabends waren wir alle ganz heiser vom Rumbrüllen und unsere Münder komplett ausgetrocknet, weil wir im Eifer des Gefechts den ganzen Raum zugespeichelt hatten. Beim Weg nach Hause, vorbei an der Eckkneipe, in dem die Leute gesittet vor ihren Bieren saßen, waren wir uns aber einig: Gut, dass wir nicht so coronavergessen unseren Abend in diesem Laden zugebracht haben.

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